Reifikation [lateinisch res „Sache“ und facere „machen“) bedeutet „Vergegenständlichung“, d. h. die Behandlung einer Vorstellung, einer metaphorischen Benennung oder eines Ausdrucks für einen komplexen Zusammenhang, als würde ein konkreter Sachverhalt oder Gegenstand beschrieben werden. Beispiel: „Sein Gewissen hielt ihn davon ab, in diesen Zug zu steigen.“
] (auch Reifizierung, vonPhilosophie
Wissenschaftliche Theorien benutzen nach ihrer Funktion unterscheidbare Begriffsklassen, z. B. deskriptive Ausdrücke, Konstrukte, Indikatoren, intervenierende Variablen usw., wobei es zu dem Fehler kommen kann, die Funktionen zu verwechseln. Wenn z. B. Freud den Begriff Über-Ich als „Notationshilfe“ einführt, um über Hemmungen zu sprechen, darf diesem Über-Ich keine kausale Wirkung zugesprochen werden („Das Über-Ich ist schuld daran, dass X. sich so gehemmt verhält“).[1] Alfred North Whitehead hatte bereits 1925 in „Science and the Modern World“ sowie 1929 in „Process and Reality“ vor dem „Fehlschluss der deplatzierten Konkretheit“ – The Fallacy of Misplaced Concreteness or Reification gewarnt. Er bezog sich dabei auf die Verwechslung des Konkreten durch das Abstrakte, nämlich abstrakte Konzepte für genaue Beschreibungen der Realität zu halten.[2]
„Reifikation ist mehr als eine metaphysische Sünde, es ist eine logische Sünde. Es ist der Fehler, eine Notationshilfe zu behandeln, als sei es ein substantivischer Begriff, was ich Konstrukt genannt habe, als sei es beobachtbar, einen theoretischen Ausdruck, als sei es ein Konstrukt oder indirekt beobachtbar.“
Soziologie
In der Soziologie werden durch die Reifikation abstrakte Begriffe wie beispielsweise Identität oder Einstellung mit Hilfe einzelner Indikatoren so operationalisiert, dass man auf sie Bezug nehmen und sie messbar machen kann. Daraus ergibt sich aber häufig eine Fehlannahme oder ein Fehlschluss, der ebenfalls als Reifikation verstanden wird: Verdinglichte Konzepte stellen also oft selbst etwas dar, was sie eigentlich nur abstrakt beschreiben sollten. Der abstrahierte Begriff erscheint dann als Realität (siehe Thomas-Theorem).
Das Problem tritt dann auf, wenn hypothetische Modelle für real gehalten werden. Begriffe wie „der Islam“, „der Markt“ oder „die Demokratie“ fallen darunter. Werden diese Begriffe im Laufe der Zeit in den allgemeinen Sprach- und Denkgebrauch übernommen, erschaffen sie eine Wirklichkeit, die es tatsächlich so nicht gibt. In diesem Beispiel wäre es: ein typisches Argument der Ideologiekritik.
Berger und Luckmann definieren Reifikation wie folgt:
„Reifikation ist, die Produkte menschlicher Aktivität so zu verstehen, als wären sie etwas anderes als menschliche Produkte – wie etwa Gegebenheiten der Natur, Auswirkungen kosmischer Gesetze oder Manifestationen eines göttlichen Willens.“
Informatik
In der informatischen Ontologieerstellung beschreibt „Reifizierung“ die Umwandlungen von Relationen zu Ontologieklassen. In RDF gibt es beispielsweise die Möglichkeit, dass das Objekt eines Subjekt-Prädikat-Objekt-Tripels wiederum solch ein Tripel ist („eine Aussage über eine Aussage“).
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ A. Kaplan (1964): The Conduct of Inquiry: Methodology for Behavioral Science, Chandler, S. 61
- ↑ Alfred North Whitehead: Science and the Modern World. Hrsg.: Talcott Parsons. New York: Free Press, 2010, ISBN 978-0-684-83639-3, S. 52, 58.
- ↑ Peter Berger, Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality. Doubleday, 1966, S. 82 (Quelle).