Der Satz von Vieta oder auch Wurzelsatz von Vieta ist ein mathematischer Lehrsatz aus der elementaren Algebra. Benannt ist er nach dem Mathematiker François Viète, der ihn in seinem postum erschienenen Werk De aequationum recognitione et emendatione tractatus duo (Zwei Abhandlungen über die Untersuchung und Verbesserung von Gleichungen) bewies.[1]
Der Satz macht eine Aussage über den Zusammenhang zwischen den Koeffizienten und den Lösungen einer quadratischen Gleichung. Für den allgemeinen Fall der algebraischen Gleichungen ist dieser Zusammenhang aus der Theorie der elementarsymmetrischen Polynome bekannt.
Der Satz von Vieta besagt: Sind
und
die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung
, dann ist
[2]
Es gilt auch die Umkehrung des Satzes: Erfüllen
und
die Gleichungen
und
, so sind
und
die beiden Lösungen der Gleichung
![{\displaystyle x^{2}+px+q=0.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/77c4cf7f97a2ecdc042afd78ce4e207807a5d3eb)
Für den Satz und seine Umkehrung gibt es drei wichtige Anwendungen:
- Es lassen sich damit quadratische Gleichungen zu vorgegebenen Lösungen konstruieren. Möchte man beispielsweise eine quadratische Gleichung
mit den Lösungen
und
konstruieren, so setzt man
und
und erhält damit die gesuchte Gleichung
. Hieraus lassen sich durch Äquivalenzumformungen alle weiteren quadratischen Gleichungen mit den Lösungen
und
erzeugen.
- Es lassen sich Gleichungssysteme der Form
![{\displaystyle {\begin{aligned}x_{1}+x_{2}&=-p\\x_{1}\cdot x_{2}&=q\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/f29782b0a35487dba576fb94dd0cf3218ee927cf)
- lösen. Beispielsweise sind die Lösungen
und
des Systems
die Lösungen der zugehörigen quadratischen Gleichung
. Nach der Lösungsformel ergibt sich
,
oder
,
.
- Der Satz kann manchmal (insbesondere, wenn vermutet wird, dass die Gleichung ganzzahlige Lösungen hat) helfen, die Lösungen einer quadratischen Gleichung durch Probieren zu finden: Ist die quadratische Gleichung
![{\displaystyle x^{2}-7x+10=0}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1c40d645cba25d5837bd90f5f75578a1f8689fb8)
- gegeben, dann muss für potenzielle Nullstellen
,
gelten:
![{\displaystyle {\begin{aligned}x_{1}+x_{2}&=-(-7)=7\\x_{1}\cdot x_{2}&=10\,.\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/2c288512ac244a16c975846b1b21abca764b2ae0)
- Ganzzahligen Nullstellen müssen also Teiler und Gegenteiler der 10 sein, deren Summe 7 ist. Als Teilerpaare kommen
,
,
, oder
in Frage. 2 und 5 sind tatsächlich Nullstellen, da
und
ist.
Der Satz ergibt sich direkt durch Ausmultiplizieren der Nullstellenform durch Koeffizientenvergleich:
![{\displaystyle {\begin{aligned}x^{2}+px+q&=(x-x_{1})\cdot (x-x_{2})\\&=x^{2}-(x_{1}+x_{2})\cdot x+x_{1}\cdot x_{2}\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/2cfe25a93fc910adebdb0d06b4dc75f2c9d794ce)
und somit
und
.
Alternativ folgt der Satz aus der pq-Formel: Für die Lösungen der Gleichung
gilt
und ![{\displaystyle x_{2}=-{\frac {p}{2}}-{\sqrt {\left({\frac {p}{2}}\right)^{2}-q}}.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/e85aa94f62f6a7acda58d1ad716a6e915a94f2da)
Addieren der beiden Gleichungen ergibt
.
Multiplizieren ergibt nach der dritten binomischen Formel
.
Sind
und
mit
und
, so zeigt man die Behauptung, indem man
und
in der Gleichung
geeignet substituiert und
bzw.
einsetzt.
Der Satz von Vieta über quadratische Gleichungen lässt sich auf Polynomgleichungen bzw. Polynome beliebigen Grades verallgemeinern. Diese Verallgemeinerung des Satzes von Vieta ist die Grundlage für das Lösen von Gleichungen höheren Grades durch Polynomdivision. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra gilt:
Jedes (normierte) Polynom
-ten Grades mit Koeffizienten in den komplexen Zahlen lässt sich als Produkt von
Linearfaktoren darstellen:
![{\displaystyle P(x)=x^{n}+a_{n-1}x^{n-1}+\dotsb +a_{2}x^{2}+a_{1}x^{1}+a_{0}=(x-x_{1})(x-x_{2})\dotsm (x-x_{n}).}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ff5ec06c61cd637f0649bf93f910787ab6cfd9f5)
sind die Nullstellen des Polynoms; auch wenn alle Koeffizienten
reell sind, können die Nullstellen komplex sein. Nicht alle
müssen verschieden sein.
Nun ergibt sich der Satz von Vieta durch Ausmultiplizieren und Koeffizientenvergleich:
,
wobei
![{\displaystyle \sigma _{k}=\sum _{1\leq i_{1}<i_{2}<\dotsb <i_{k}\leq n}x_{i_{1}}\cdots x_{i_{k}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/459084a8fcedc87f0b05a5d73fdc1a805efea5cf)
die sogenannten Elementarsymmetrischen Polynome in
bis
sind.
Der Aufbau der Koeffizienten für das oben gezeigte Polynom
vom Grad
in Normalform lässt sich ganz allgemein so angeben[3]:
![{\displaystyle {\begin{array}{r c l}a_{n-1}&=&-(x_{1}+x_{2}+\dotsb +x_{n})\\a_{n-2}&=&+(x_{1}\cdot x_{2}+x_{1}\cdot x_{3}+\dotsb +x_{2}\cdot x_{3}+\dotsb +x_{n-1}\cdot x_{n})\\a_{n-3}&=&-(x_{1}\cdot x_{2}\cdot x_{3}+x_{1}\cdot x_{2}\cdot x_{4}+\dotsb +x_{2}\cdot x_{3}\cdot x_{4}+\dotsb +x_{n-2}\cdot x_{n-1}\cdot x_{n})\\&\vdots &\\a_{0}&=&(-1)^{n}\cdot x_{1}\cdot x_{2}\dotsm x_{n}\\\end{array}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1a01a46d79ca178f39073538b1f1053231575350)
Für ein Polynom vierten Grades
![{\displaystyle P(x)=x^{4}+a_{3}\cdot x^{3}+a_{2}\cdot x^{2}+a_{1}\cdot x+a_{0}=(x-x_{1})(x-x_{2})(x-x_{3})(x-x_{4})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ce2e86467590f85b2e7711ece2fca40dbf4e4b3c)
ergibt sich:
![{\displaystyle {\begin{array}{r c l c l}-a_{3}&=&\sigma _{1}&=&x_{1}+x_{2}+x_{3}+x_{4}\\a_{2}&=&\sigma _{2}&=&x_{1}x_{2}+x_{1}x_{3}+x_{1}x_{4}+x_{2}x_{3}+x_{2}x_{4}+x_{3}x_{4}\\-a_{1}&=&\sigma _{3}&=&x_{1}x_{2}x_{3}+x_{1}x_{2}x_{4}+x_{1}x_{3}x_{4}+x_{2}x_{3}x_{4}\\a_{0}&=&\sigma _{4}&=&x_{1}x_{2}x_{3}x_{4}\\\end{array}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/25bf8c257bb570597838f10a1dd7419bbdea9fa0)
Eine wichtige Anwendung des Satzes für
und
ist die Rückführung der kubischen Gleichung auf eine quadratische Gleichung und der Gleichung 4. Grades auf eine kubische Gleichung, die sog. kubische Resolvente.
Allgemein gilt der Wurzelsatz von Vieta auch für Polynome mit Koeffizienten in anderen Körpern, solange diese nur algebraisch abgeschlossen sind.
- Walter Gellert: Lexikon der Mathematik. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1990, S. 578, 200.
- ↑ Heinz-Wilhelm Alten: 4000 Jahre Algebra. Geschichte, Kulturen, Menschen. Springer, Berlin u. a. 2003, ISBN 3-540-43554-9, S. 268.
- ↑ Franz Lemmermeyer: Mathematik à la Carte. Quadratische Gleichungen mit Schnitten von Kegeln. Springer, Berlin / Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-50340-9, S. 24.
- ↑ Bibliographisches Institut (Hrsg.): MEYERS Großer Rechenduden. Bibliographisches Institut AG, Mannheim 1961, DNB 453937608, Stichwort ‘Gleichungen’, S. 215 ff.