Mit translatio iudicii (auch transferre iudicium) bezeichneten die römischen Juristen die Übertragung eines rechtshängigen Gerichtsprozesses von einem verstorbenen oder verhinderten Prozessbeteiligten auf eine andere Person, die ihn bis zu einem Urteil dann führte.[1] Ob der Rechtsgrund für den Subjektwechsel anerkennenswert war, überprüfte der Gerichtsmagistrat.[2] Auseinanderzuhalten gilt es die juristische und die rhetorische translatio, denn letztere kennzeichnet Verteidigungsmittel des Beklagten, um einen Freispruch zu erwirken.
Vor der Streitfestsetzung jederzeit, nach der Streitfestsetzung nur eingeschränkt, denn dann trat regelmäßig Klagerechtsverbrauch ein, konnten sowohl der Richter[3] als auch, was vornehmlich geschah, die Parteien[4] ausgetauscht werden. Im zweistufigen Formularprozess wurde zu diesem Zweck entsprechend die Klageformel abgeändert.[5] Mangels konkreter Hinweise in den Quellen, wurden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie in den Fällen von Parteiwechseln die translatio umzusetzen war. Teils wird gesagt, dass der Gerichtsmagistrat – im Formularprozess war das regelmäßig der Prätor – nur die vom Richter zu beachtende Urteilsformel (condemnatio) umstellte,[6] die das ursprünglich begründete Verfahren rechtshängig, mithin unberührt, hielt. Auf der anderen Seite wird angeführt, dass das Verfahren unter Mitwirkung der Parteien abzubrechen war, weil das durch die Streitfestsetzung verbrauchte Klagerecht erst restituiert werden musste, um den Weg für ein neues Verfahren mit neuer Prozessformel freizumachen.
Für die älteste Verfahrensform der Legisaktionen, die im altrömischen und vorklassischen Recht das Mittel zur Rechtsdurchsetzung waren, gibt es keine eindeutigen Belege für Prozesstranslationen, anders als in den klassischen und nachklassischen – einheitlich geführten – Kognitionsverfahren, die letzten Klageverfahren im Römischen Reich.[7]
Literatur
- Franco Bonifacio: Studi sul processo formulare romano. Band 1, Translatio iudicii, Verlag Jovene, Neapel 1956 (Monographie).
- Joseph Duquesne: La Translatio Iudicii dans la Procedure Civile Romaine. Paris, Librairie Recueil Sirey. 1910 (Monographie).
- Friederike Erxleben: Translatio iudicii. Der Parteiwechsel im römischen Formularprozess. In: Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte; Heft 112. C.H. Beck, München 2017.
- Max Kaser, Karl Hackl: Das römische Zivilprozessrecht. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage / neu bearbeitet von Karl Hackl. Beck, München 1996, ISBN 3-406-40490-1. S. 435 ff., 547 ff. und 577 m.w.N.
- Paul Koschaker: Translatio iudicii. Eine Studie zum römischen Zivilprozeß. Leuschner Lubensky, Graz 1905 (Habilitationsschrift).
- Johannes Platschek: Formularprozess: Verhandlung „in iure“. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 372–412, hier S. 407.
Weblinks
- Vorbesprechung des Werks von Friederike Erxleben: Translatio iudicii.
- Joseph Duquesne, Besprechung von Paul Koschaker
Anmerkungen
- ↑ In Fragmenta Vaticana 341 wird ein darauf lautendes prätorisches Edikt genannt, das Otto Lenel: Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, mit dem für die Savigny-Stiftung ausgeschriebenen Preise gekrönt, Leipzig 1927; zuerst 1883 (Digitalisat; PDF; 54,6 MB). S. 125 ff. aufgreift.
- ↑ Friederike Erxleben: Translatio iudicii. Der Parteiwechsel im römischen Formularprozess. In: Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte; Heft 112. C.H. Beck, München 2017. S. 159 f.
- ↑ Ulpian, in Digesten 50,5,13,3. Abgrenzung gegenüber dem zeitpunktunabhängigen Richtertausch, der mutatio iudicis.
- ↑ Gaius, in Digesten 18,1,35,4 und 36,1,10.; Paulus, in Digesten 36,1,41pr. und 14,1,5,1.
- ↑ Friederike Erxleben: Translatio iudicii. Der Parteiwechsel im römischen Formularprozess. In: Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte; Heft 112. C.H. Beck, München 2017. S. 269 mit Verweisen in Fn. 1.
- ↑ Vgl. Repräsentanten in: Gerhard Alexander Leist: Condemnatio 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV,1, Stuttgart 1900, Sp. 843 f.
- ↑ Hierzu: Scaevola, Digesten 49,1,28,2.; Ulpian, Digesten 40,5,30pr.