Der Ausdruck Goldene Zwanziger bzw. Goldene Zwanziger Jahre bezeichnet für Deutschland etwa den Zeitabschnitt zwischen 1924 und 1929. Der Begriff veranschaulicht den Wirtschaftsaufschwung in den 1920er Jahren in vielen Industrieländern und steht auch für eine Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Die „Goldenen Zwanziger“ endeten, als die Weltwirtschaftskrise auch in Deutschland Auswirkungen hatte (siehe z. B. Deutsche Bankenkrise).
Auch in anderen Sprachen gibt es Begriffe für diese Zeit, z. B. Roaring Twenties (englisch), Anni ruggenti (italienisch), années folles (etwa: verrückte Jahre; französisch).
Insgesamt waren diese Jahre nur eine Phase der relativen, nicht der absoluten Stabilisierung der Weimarer Republik. Nur zwei Regierungen dieser Zeit besaßen eine Mehrheit im Parlament, und die Koalitionen mit Mehrheit waren immer in der Gefahr zu zerbrechen. Keine Regierung überstand eine komplette Legislaturperiode. Ein weiteres Zeichen für die noch vorhandene Instabilität ist auch, dass weiterhin teilweise mit Hilfe von Ermächtigungsgesetzen regiert wurde. Es wurde kritisiert, dass sich viele Parteien zu oft weniger dem Allgemeinwohl als vielmehr dem Nutzen ihrer Klientel verpflichtet sahen oder ihrem eigenen taktischen Vorteil. Die Weichen für die Wirtschaftskrise wurden in diesen Jahren gelegt, da ein Ungleichgewicht im Außenhandel durch kurzfristige Auslandkredite ausgeglichen wurde. Dadurch gewonnenen Devisen wurden benötigt, um die Reparationszahlungen an die Gläubigermächte zu transferieren. Die Kredite mussten also zunehmend nicht nur für den Aufschwung, sondern auch für die zu leistenden Zahlungen verwendet werden. Als sie abgezogen wurden, kam es im Juli 1931 schließlich zur Deutschen Bankenkrise.
Zudem konnten die Arbeitslosenzahlen in der Republik nie unter eine Million gesenkt werden, was vor allem rechtsradikale Gruppierungen durch Propaganda gegen Arbeitslosigkeit und Schulden für sich zu nutzen versuchten.
Geschichte
1918 bis 1923
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erschütterte der Vertrag von Versailles mit als zu hart empfundenen Reparationen und Gebietsverlusten viele Deutsche. Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Bettelei als einzige Existenzsicherung für verkrüppelte Heimkehrer aus dem ersten industrialisierten Krieg ohne heutige medizinische Möglichkeiten (Prothetik, Antibiotika, Schmerzmittel), mit 14 Prozent die höchste Säuglingssterblichkeit in Europa, Rachitis-Epidemien durch Vitaminmangel und Attentate auf führende Politiker wie Matthias Erzberger und Walther Rathenau, hervorgerufen durch Hasspredigten, prägten das politische Klima am Anfang der Zwanziger Jahre in Deutschland. Eine seit 1914 zunehmende Inflation kulminierte in einer Hyperinflation im Jahr 1923. Putschversuche wie der Kapp-Putsch 1920 und der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 sowie Niederschlagungen von Massenstreiks (1920: Ruhraufstand im Ruhrgebiet, 1921: Märzkämpfe in Mitteldeutschland) mit Hilfe von Freikorps hinterließen Hunderte von Toten.
Besserungen ab 1924
Die Einführung der Rentenmark stoppte die Hyperinflation und auch der Versailler Vertrag konnte durch Dawes-Plan und Young-Plan den Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft teilweise angepasst werden. Bald setzte eine Phase wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung und politischer Beruhigung ein. Die politischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich konnten durch die Verträge von Locarno erheblich gemildert werden. Der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund 1926 trug ebenfalls zur politischen Beruhigung bei.
Goldene Zwanziger Jahre
Der Begriff Goldene Zwanziger Jahre steht für den wirtschaftlichen Aufschwung der weltweiten Konjunktur und bezeichnet die Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Beteiligt am Aufschwung der Konjunktur waren ebenfalls die hohen Kredite, die Deutschland damals aus dem Ausland, besonders aus den USA, erhielt.
Für Deutschland kann ein bemerkenswertes Konjunkturhoch nur für die Jahre 1926 bis 1928 festgestellt werden.[1]
Gleichwohl prägte sich vielen Zeitgenossen der Jahre 1924 bis 1929 das Bild einer „Hochkonjunkturperiode mit manchmal erstaunlichen ökonomischen Leistungen“ ein, die sich deutlich von den krisengeschüttelten Jahren davor und danach abhob.[2] Trotz der vergleichsweise günstigen Voraussetzung scheiterte die Absicherung des republikanischen Staates durch fehlende Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten. Hunger und Elend der letzten Kriegsjahre und die Finanzskandale von 1923 und 1929 schürten das Misstrauen in die Weimarer Republik in weiten Teilen der Bevölkerung. Der von Otto Braun fast das ganze Jahrzehnt regierte Teilstaat Preußen blieb zwar ein Hort der politischen Stabilität, dies reichte jedoch schließlich nicht aus, wie mit der negativen Mehrheit von NSDAP und KPD nach der Landtagswahl 1932 und dem sogenannten Preußenschlag sichtbar wurde.
Beendet wurden die „Goldenen Zwanziger“ von der Weltwirtschaftskrise 1929, ausgehend vom Börsenkrach am Schwarzen Donnerstag der Wallstreet in New York. Soziale Spannungen brachen wieder auf und resultierten in politischer Radikalisierung und im Aufstieg des Nationalsozialismus.
Trotz aller Spannungen und Konflikte, die die junge Republik zu meistern hatte, schien die Demokratie zunehmend erfolgreich. Die Neuordnung der Währung und die im Gefolge des Dawes-Plans ins Land strömenden US-amerikanischen Kredite leiteten eine Phase relativer wirtschaftlicher und politischer Stabilisierung ein. Dazu trug bei, dass Gustav Stresemann unter wechselnden Regierungen Außenminister blieb und mit seinem französischen Kollegen Aristide Briand eine vorsichtige Politik der Annäherung einleitete. Zugleich versuchte er, eine partielle Revision des Versailler Vertrages zu erreichen und Deutschland wieder zu einem gleichberechtigten Partner in der internationalen Gemeinschaft zu machen. Die Aufnahme in den Völkerbund und die Verträge von Locarno waren ein erster Erfolg. Mit dem Berliner Vertrag, einem deutsch-sowjetischen Freundschafts- und Neutralitätsbündnis, versuchte Stresemann Befürchtungen über eine einseitige deutsche Westbindung entgegenzuwirken. Solche hatte es in der Sowjetunion und in Deutschland gegeben.
Weitere Stationen auf dem Weg der Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern waren die Unterzeichnung des Briand-Kellogg-Pakts, der die Ächtung des Kriegs als Instrument der Politik zum Inhalt hatte, und – trotz erheblicher Widerstände von rechter Seite, die in einem Volksbegehren mündeten – die Annahme des Young-Plans, der die Reparationsfrage endgültig regelte und Voraussetzung für die vorzeitige Räumung des Rheinlands von alliierter Besatzung war.
1926 erkannte Deutschland die Abtrennung von Elsass-Lothringen an. 1927 verbesserte der Abschluss von Wirtschaftsverträgen mit Ungarn, Rumänien und Bulgarien das Ansehen der Weimarer Republik im Ausland.
Innenpolitisch gelang es, die republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in die Regierungsverantwortung einzubinden. Bei der Reichstagswahl im Dezember 1924 erhielten die völkischen Parteien mit 900.000 Stimmen eine Million Stimmen weniger als noch im Mai. Auch die Wahl des greisen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten (→ Reichspräsidentenwahl 1925), die nach dem plötzlichen Tod Friedrich Eberts notwendig geworden war, wirkte nicht unmittelbar republikgefährdend. Hindenburg hatte sich zwar vor der Wahl die Zustimmung des abgedankten Kaisers Wilhelm II. eingeholt, den Wahlkampf mit nationalistischen und anti-sozialdemokratischen Argumenten geführt und sich so gegen Wilhelm Marx (Zentrum) durchgesetzt, den Kandidaten der Weimarer Koalition. Seine Amtsführung war jedoch verfassungsgemäß und bot eine Chance, die Konservativen nachträglich mit der Republik auszusöhnen. Allerdings war Hindenburgs Wahl Ausdruck einer politischen Gewichtsverschiebung nach rechts. Dies zeigte sich unter anderem an der von ihm 1926 erlassenen Flaggenverordnung, die es deutschen Auslandsvertretungen erlaubte, neben der schwarz-rot-goldenen Reichsflagge die schwarz-weiß-rote Handelsflagge des Kaiserreichs zu hissen. Im selben Jahr wandte er sich gegen den Entwurf eines von der Verfassung angekündigten Ausführungsgesetzes zum Artikel 48 der Verfassung, das seine präsidialen Vollmachten beschränkt hätte.
Zu einer heftigen Auseinandersetzung kam es 1925 und 1926 um die Behandlung des Vermögens der bis 1918 regierenden Fürstenhäuser (→ Fürstenenteignung). Dieses Vermögen war im Zuge der Revolution beschlagnahmt aber nicht enteignet worden. Es kam zu Gerichtsverfahren, in denen die noch immer monarchistisch geprägte Justiz eher zugunsten der Fürstenhäuser urteilte. Die DDP brachte daraufhin im Reichstag einen Gesetzentwurf ein, der den einzelnen Ländern die Regelung der Auseinandersetzungen unter Ausschluss des Rechtsweges gestattet hätte. Die KPD machte daraufhin das erste Mal in der Weimarer Republik von der Möglichkeit Gebrauch, ein Gesetz durch Volksbegehren und Volksentscheid zu erreichen, die SPD schloss sich ihr an. Der Gesetzentwurf der KPD sah eine entschädigungslose Enteignung der Fürstenhäuser zu Gunsten Bedürftiger vor. Der Entwurf erhielt beim Volksbegehren mit über 12 Millionen Unterschriften die Zustimmung von fast einem Drittel der Stimmberechtigten. Da der Reichstag den Gesetzesentwurf ablehnte, kam es zu einem Volksentscheid, bei dem als Quorum die Mehrheit der Stimmberechtigten benötigt wurde. An diesem Quorum scheiterte der Entscheid, da er nur von 36,4 Prozent der Stimmberechtigten (14,46 Mio. Stimmen, Hindenburg hatte bei seiner Wahl 14,66 Mio. Stimmen erhalten) unterstützt wurde. Nur 1,56 Prozent der Wähler stimmten mit „Nein“. Ein Problem bei der Abstimmung war der Aufruf der rechten Parteien zum Wahlboykott, sodass die Wahl nicht mehr geheim war, da eine Stimmabgabe ein Indiz für die Unterstützung des Vorschlags war. Aus diesem Grund nahmen, vor allem im ländlichen Raum, Stimmberechtigte aus Furcht nicht am Volksentscheid teil. Der Volksentscheid führte zu einer Beteiligung großer Bevölkerungsteile an einer wichtigen Entscheidung, war aber auch eine Misstrauenserklärung an das parlamentarische System und destabilisierte dieses weiter. Auf diesen Effekt zielten die rechten Parteien bei ihrem Volksbegehren.
Berlin
In Berlin manifestierte sich das Lebensgefühl junger Leute an der Gedächtniskirche und Kurfürstendamm und Tauentzienstraße, aber auch im Bereich der Friedrichstraße. Im Westen entstanden am Ende der Stummfilmzeit die neuen Großkinos Marmorhaus, Capitol und Ufa-Palast – noch mit siebzigköpfigem Symphonieorchester in braunen Samtjacken – und machten den ‚Floh-Kinos‘ Konkurrenz. Das gesetzte Alter spazierte Unter den Linden, wo Klappstühle für fünf Pfennig aus der Allee eine Kurpromenade machten, so zum Beispiel Gerhart Hauptmann, der häufig im Hotel Adlon wohnte, oder Gustav Stresemann, der versonnen bei Spaziergängen mit seinem Stock im Sand grub. Der Straßenzug zwischen Nollendorfplatz und Olivaer Platz hingegen war Berliner Laufsteg für einen neuen Schick: Mit Erika und Klaus Mann ein Tanz auf dem Vulkan.
Wer auf der Suche nach Prostituierten war, fand in Berlin reiche Auswahl: Am Wittenbergplatz standen die Dominas, deren rote oder giftgrüne Lacklederstiefel dem kundigen Freier signalisierten, welche sexuelle Spezialität ihre Trägerin offerierte. Kesse Tauentzien-Girls, gekleidet wie elegante Damen, bekannt für ihre freche Berliner Schnauze, traf man vor den Stundenhotels an der Chausseestraße. An der oberen Friedrichstraße warteten frierende minderjährige Mädchen in abgeschabten Mänteln auf Pädophile. Die unterste Kategorie des Rotlichtmilieus war in den mehr als 300 Bordellen und Stundenhotels allein rund um den Alexanderplatz anzutreffen.[3]
Für kaum einen anderen Lebensbereich galt der Begriff Goldene Zwanziger so uneingeschränkt wie für das hauptstädtische Musik- und Theaterleben. Ungezählte Schauspiel- und Operettenhäuser, Kleinkunstbühnen und Revuepaläste, dazu drei große Opernhäuser machten Berlin in den Jahren der Weimarer Republik zu einem künstlerischen Mekka, das Einheimische und Fremde gleichermaßen in seinen Bann zog. Die Boulevard- und Theaterwelt bot vielfältige Zerstreuung. Max Reinhardt baute seine beiden eleganten Theater am Kurfürstendamm, eingerahmt von Tribüne und Renaissance-Theater. Expressionisten wie Ernst Toller, Georg Kaiser, Carl Sternheim, Walter Hasenclever sorgten sowohl für Schreie auf der Bühne als auch für Schreie der Entrüstung und Begeisterung im Publikum. Die Bühnenbilder stammen von Avantgardisten wie Panos Aravantinos und Emil Pirchan. Maßgeblicher Kostümbildner und Couturier war William Budzinski. Fritzi Massary und Richard Tauber waren feste Größen in der Musikszene. Man bewunderte die Tiller Girls im Admiralspalast und schwelgte im Metropol-Theater. Der Berliner Broadway bot auch jede Menge Kleinkunst: Bars, Nachtclubs, Weindielen, russische Teestuben, neue Ballhäuser, wie das Ambassadeur oder die Barberina sowie die kleinere Königin oder das demimondäne Riorita, in denen man nicht nur tanzen, sondern auch soupieren konnte. Neue Tänze wie der Charleston und der neue Jazz waren lange umstritten. Ehemalige Offiziere, nun arbeitslos, verdingten sich als Eintänzer (Schöner Gigolo, armer Gigolo…).
Alexanderplatz und Potsdamer Platz galten als Inbegriff der lebhaft pulsierenden Weltstadt Berlin. Viele der den Alexanderplatz begrenzenden Gebäude und Bahnbrücken trugen große Leuchtreklametafeln, die die Nacht zum Tag machten. Sein Gesicht änderte sich von Tag zu Tag.
Die Berliner Secession führte einen impulsiven Diskurs um die Kunst, mit Protagonisten wie Lovis Corinth, Max Liebermann und Ernst Oppler.
Gesellschaftliche Umwälzungen
Emanzipation der Frau
Die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aktive Frauenbewegung erfuhr durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen (ein Beispiel ist die Tätigkeit als Stenotypistin) und ein sich wandelndes Frauenbild einen ungeahnten Aufschwung. Dies führte mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland im Jahr 1919 zu einer Teilhabe der Frauen am politischen Meinungsbildungsprozess. Die über die aufkommenden Illustrierten und Zeitungsmagazine vermittelten Frauenbilder, wie die neue Frau und der Flapper, zeigten junge Frauen in veränderten Rollen und eröffneten ihnen neue Perspektiven. Das offenere gesellschaftliche Klima zeigte sich auch in der Rechtsprechung. 1926 wurde der § 218 StGB geändert: die Haftstrafen bei Schwangerschaftsabbruch wurden verkürzt, statt Zuchthaus drohte nun Gefängnis.
Diverse Lebensführung
Mit Gründung der Weimarer Republik hatten sich neue Spielräume für die bereits seit den 1890er Jahren bestehende Homosexuellenbewegung eröffnet. Mit dem Bund für Menschenrecht und dem Deutschen Freundschaftsverband waren auch erstmals Massenorganisationen für gleichgeschlechtlich liebende Menschen entstanden, die sich insbesondere dem Kampf gegen den § 175 widmeten. Die damit verbundenen Verlage publizierten zahlreiche Zeitschriften für „Freunde und Freundinnen“, darunter Die Freundschaft mit einer Auflage von bis zu 40.000 Exemplaren sowie Der Eigene oder Das Freundschaftsblatt für homosexuelle Männer; Die Freundin, Frauenliebe (mit Auflagen von 10.000 oder mehr) und Die BIF für Lesben und spezielle Titel wie Das dritte Geschlecht für „Transvestiten“. Eine Vorreiterrolle im neuen Diskurs über Sexualität nahm das Berliner Institut für Sexualwissenschaft ein. Neben dieser organisatorischen Infrastruktur existierten in Metropolen wie Berlin schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Lokale für ein diversen Lebensentwürfen zugeneigtes Publikum, darunter international bekannte Adressen wie das Eldorado, das Kleist-Kasino, der Toppkeller und das Dorian Gray. Bedeutende Aktivisten und Aktivistinnen der Ära waren Adolf Brand, Magnus Hirschfeld, Johanna Elberskirchen, Friedrich Radszuweit, Lotte Hahm, Carl Bergmann, Selma Engler und Käthe Reinhardt.
Kunst
Eine der prägendsten Kunstrichtungen der Goldenen Zwanziger war die Neue Sachlichkeit. Sie entstand aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges und des anschließenden gesellschaftlichen Wandels. Viele Künstler zeigten sich engagiert und politisch interessiert. Die Kunst befreite sich ein weiteres Stück aus akademischen Zwängen. Man zeigte weniger Scham. Neue Themen waren das Leben in der Großstadt, die Kluft zwischen Arm und Reich, die neue selbstbewusste Frau. Das Porträt wurde zum wichtigen Genre. Ein Beispiel: Das „Großstadt-Triptychon“ von Otto Dix stellt unter anderem Prostituierte dar, in teils freizügiger Pose. Ein solches Motiv wäre im Kaiserreich noch undenkbar gewesen. Berühmte Künstler sind:
- Max Beckmann („Christus und die Sünderin“)
- Otto Dix („Großstadt-Triptychon“)
- Otto Griebel („Ein Stück europäischer Kulturaufschnitt!“)
- George Grosz („Ecce Homo“)
- Paul Klee („Blaue Reiter“,„Brücke“)
- Max Klinger („Amor und Psyche“)
- Georg Kolbe („Autonome Aktfigur“)
- Jeanne Mammen („Zimmer frei“)
- Christian Schad („Sonja“)
Mode
- Damenmode: Bei den Accessoires kam es nicht auf den Wert, sondern auf die schockierende Wirkung an. Deshalb war die „endlose“ Zigarettenspitze sehr beliebt. Sie gab den Damen einen leicht mondänen Anstrich. Zur Aufmachung für den Abend gehörten auch Perlenketten, Boas, Stirnbänder und Handtaschen. Die Frisuren der Damen wirkten auf viele aggressiv. Der Bubikopf löste gegen hartnäckigen Widerstand der Elterngeneration die Schnecken mit Haarnadeln ab.
- Herrenmode: 1919 sah man die Männer noch im Gehrock mit Zylinder. Die Herrenmode in den 1920ern war klassisch, dunkel und korrekt. Zu Beginn des Jahrhunderts war die Form des Sakkos recht breit (mit gepolsterten Schultern). Die Brust war verstärkt, um der männlichen Silhouette einen muskulöseren Eindruck zu verleihen. Im Laufe des Jahrhunderts wurde diese Jackenform leger, leicht tailliert und weniger gepolstert. Der Tagesanzug geht auf den Namen des deutschen Reichskanzlers Gustav Stresemann zurück und wird heute noch zu Festlichkeiten getragen. Die Frisuren der Herren waren streng nach hinten gekämmt, häufig mit Seitenscheitel. Die Schuhe wurden leicht und ließen die Stiefel des Weltkrieges hinter sich. Auch der Stil dieses in einer Fachzeitschrift für chauffeur-lose Selbstfahrer („Herrenfahrer“) 1924 erschienenen Herrenmodeartikels atmet den Aufbruch der Goldenen Zwanziger:
„Jeder mehrfarbige Schuh ist unfein, wenn nicht als Strand- oder Vormittagsschuh. Der Halbschuh beherrscht alles. Stiefel werden wenig getragen. Der schwarze Boxcalf- oder Chevreaux-Schuh kann gelochte Muster haben. Die Kappe kann sogar das Monogramm tragen. Lange, platt abgerundete Spitze. Die beste Bezeichnung für die Form ist: wenn die Schuhe vor dir stehen, darfst du nicht sehen, welches der rechte und welches der linke Schuh ist. Der braune Schuh ist im Winter, wenn überhaupt braune Schuhe getragen werden müssen, aus schwerem Leder. Der braune Schuh mit Gummisohle ohne Absatz ist schon wieder aus der Mode. Höchstens als Golfschuh noch führend. Als Smoking- und Abendschuh ein kappenloser Lackschuh, völlig flach und ohne Verzierung.“
- Mode allgemein: Neue erfundene Stoffe (z. B. synthetische Fasern) ließen Seidenstrümpfe geschmeidig und weicher werden. Die Friseure hatten sonntags offen. Die Männer trugen Knickerbocker und Schiebermützen. Ähnlich elegant waren die so genannten Topfhüte der Frauen.
Tanz
Nachdem zum Jahresende 1918 das weltkriegsbedingte Tanzverbot in Deutschland aufgehoben worden war, wurde das Tanzvergnügen gesucht, auch um dem tristen Alltag zu entgehen. Das Berliner Tageblatt schrieb Anfang 1919 treffend: „Wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzt sich das Volk auf die lang entbehrte Lust. Noch nie ist so viel, so rasend getanzt worden.“[5]
In den Städten, vor allem in Berlin, entstanden Tanzbars, auf dem Land traf man sich in Vereinslokalen. Neben Tango und Walzer waren es vor allem die wilden Tänze aus Amerika, die rasch in Deutschland populär wurden. Modetänze jener Zeit waren der Charleston, der Shimmy, bei dem Hüften und Po wie wild geschüttelt wurden und der Black Bottom, bei dem das Becken vor- und zurückgeschwungen werden musste. Vor allem die US-amerikanische Tänzerin Josephine Baker war es, die den besonders beliebten Charleston ab 1925 nach Europa brachte. Dabei trug die tanzende Dame eine Garderobe, die vielerorts als schockierend empfunden wurde: „Kleider, die nicht mehr imstande sind, die Blöße zu bedecken.“ Dies machte die Tanzwut um so suspekter.
„[...] Bilder von modernen Tanzlustbarkeiten [...], über die jeder halbwegs anständige Mensch nur Ekel empfinden muss. Die Dämchen in Kleidern, die mit Recht als Dirnenkostüme bezeichnet werden müssen, die Herren allerdings meist im elegantesten Frackanzuge, aber mit vollständig blasierten und geistlosen oder stumpfsinnigen Gesichtern, aus denen nichts weiter als moralischer Tiefstand zu ersehen ist. Dazu beide Geschlechter oft in Stellungen, die an Schamlosigkeit nicht zu wünschen übrig lassen. So erfordert es eine Anzahl der sogenannten modernen Tänze.“
Zugleich waren die 1920er Jahre die Zeit der großen Revuen, bei denen Tanzeinlagen leicht bekleideter, im Gleichtakt die Beine schwenkender Girl-Truppen nicht fehlen durften. Stars dieser Girlkultur waren die Tiller-Girls aus London, die 1924 mit einer Mammut-Show nach Berlin kamen und das Publikum im Sturm eroberten. Diese Girlkultur hatte nicht den individuellen Ausdruck wie beim Charleston, sie basierte vielmehr auf völlig synchronen Bewegungen der Tänzerinnen. Die Uniformität von Kleidung und Bewegung hatte hier gleichsam etwas Militärisches an sich, was ihrem Erfolg aber keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Die stramme Disziplin, die hier sichtbar wurde, erinnerte an den zur damaligen Zeit durchaus noch lebendigen Untertanengeist der Kaiserzeit.
Sport
Sport wurde zu einem Vergnügen der Massen. Propagandistisch begleitet von Zeitungskönigen wie August Scherl und den Brüdern Ullstein wurden Flugtage ein Renner. Ruderregatten, AVUS-Autorennen auf der ersten zweibahnigen Automobilstrecke Deutschlands mit steilster Nordkurve, Turnfeste und Sechstagerennen im Sportpalast zogen mehr Menschen an, als alle anderen Veranstaltungen vorher. Das Berliner Sechstagerennen fand während seiner ersten Hochzeit in den Goldenen Zwanzigern wegen des großen Publikumsandrangs zum Teil zweimal jährlich statt. Es waren nicht nur sportliches, sondern auch gesellschaftliches Ereignis. Bekannte Künstler und später die Sportprominenz – traditionell waren darunter erfolgreiche Boxer wie zum Beispiel Max Schmeling – ließen sich diese Gelegenheit für einen Auftritt in der Öffentlichkeit nicht entgehen und gaben auch den Startschuss ab.
Carl Diem veranstaltete große Sportfeste. Das Rhönrad wurde erfunden und eine neue Nacktkultur entstand. Auch das Boxen wurde eine populäre Sportart.
Neue Medien
Film und Kino
Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland sehr viele Lichtspielhäuser, in denen Stummfilme gezeigt wurden. In den Zwanziger Jahren konnte sich der Film als Massenmedium etablieren, dadurch nahmen die Lichtspielhäuser einen rasanten Aufstieg. Deutschland war der europäische Staat mit den meisten Kinos, deren Anzahl zwischen 1918 und 1930 von 2300 auf 5000 anwuchs. Täglich gingen zwei Millionen Menschen in die Kinos. Für ihr Eintrittsgeld bekamen sie neben dem Hauptfilm kurze Vorfilme, gelegentlich Natur- oder Reisefilme und stets die Wochenschau zu sehen.
Deutschland produzierte in den 1920er und 1930er Jahren mehr Filme als alle anderen europäischen Staaten zusammen. Der deutsche Film brachte einige große Regisseure mit bedeutenden Produktionen hervor, wie zum Beispiel „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1919/1920) von Robert Wiene. Der Rhythmus choreographierter Massenszenen bestimmte Langs 1927 uraufgeführten Stummfilm „Metropolis“. Das millionenteure Spektakel erwies sich an den Kassen jedoch als Misserfolg. Längst hatte die Filmfabrik Hollywood die deutschen Kinos erobert und setzt 1927 mit dem ersten Tonfilm neue Maßstäbe.
Die Film- und Kinomusik ist genauso alt wie die bewegten Bilder in Film und Kino. Bereits in der Frühzeit des Films waren öffentliche Vorführungen mit musikalischer Begleitung üblich. Für die Epoche des Stummfilms war die vom Kino-Pianisten live dargebotene Klaviermusik prägend, die das Geschehen auf der Leinwand untermalte. In den Anfängen diente die Klaviermusik auch dazu die Projektorengeräusche zu übertönen.
Rundfunk
Der Hörfunk wuchs zum neuen Massenmedium heran. Hochwertige Empfänger waren kostspielig, andererseits waren auch Detektorempfänger beliebt, einfache „Bastelradios“ zum Selbstbau. Telefunken brachte preiswerte Kopfhörer heraus, die bei Bedarf zu kleinen Lautsprechern auseinandergeschraubt werden konnten.
Richard Tauber war der Starinterpret einer im Rundfunk übertragenen Operette. Musiksendungen, Autorenlesungen und Hörspiele erfreuten sich großer Beliebtheit, politische Sendungen waren hingegen weitgehend tabu.
Filme
- Die wilden Zwanziger. Dokumentarfilm, von Stefanie Appel (Arte, 2015).
- Babylon Berlin
- Die Zwanziger – Das Jahrzehnt der Frauen. Dokumentarfilm, Teil 1/2: Kunst und Karriere. Teil 2/2: Alltag und Exzess, jeweils 53 Minuten, Regie: André Meier, RBB/MDR, Deutschland, 2020
Literatur
- Berlin – Die Zwanzigerjahre – Kunst und Kultur 1918–1933, Text: Rainer Metzger, Bildauswahl: Christian Brandstätter, dtv, München 2006, ISBN 978-3-423-34407-4.
- Michael Bienert, Elke Linda Buchholz: Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt. Berlin-Story-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-929829-28-2.
- Georg Eckert: Die Zwanziger Jahre. Das Jahrzehnt der Moderne. Aschendorff, Münster 2020, ISBN 978-3-402-24632-0.
- Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik. Sutton Verlag, Erfurt 2008, ISBN 978-3-86680-338-1.
- Eberhard Kolb, Dirk Schumann: Die Weimarer Republik. 8., aktualisierte und erweiterte Auflage 2012, Oldenbourg, ISBN 978-3-486-71267-4. Darin Kap. 3 (S. 95–111): „Künstlerische Avantgarde und Massenkultur. Zur Physiognomie der ‚goldenen zwanziger Jahre‘“ (auch in: Eberhard Kolb, Deutschland 1918–1933: Eine Geschichte der Weimarer Republik, Oldenbourg 2010, S. 137–160).
Weblinks
Fußnoten
- ↑ Gerd Hardach: 1929. Wirtschaft im Umbruch. In: Die Welt spielt Roulette. Zur Kultur der Moderne in der Krise 1927 bis 1932. (Hrsg.) Werner Möller, Frankfurt 2002, S. 22; Eberhard Kolb: Deutschland 1918–1933. Eine Geschichte der Weimarer Republik. München 2010, S. 134; Günter Könke: Organisierter Kapitalismus, Sozialdemokratie und Staat. Stuttgart 1987, S. 65.
- ↑ Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949 C.H. Beck Verlag, München 2003, S. 252.
- ↑ Anita Berber - wie sündig das Berlin der Zwanziger Jahre war. In: GEO Epoche Nr. 27. Stern, August 2007, abgerufen am 6. Januar 2023.
- ↑ Aus Der Herrenfahrer, Heft 1, 1924, Seite 51, Deutsche Nationalbibliothek
- ↑ https://www.zeitklicks.de/weimarer-republik/kultur/musik-und-tanz/tanzbegeisterung-charleston. Abgerufen am 25. April 2024
- ↑ Aus Musikalische Komödie Leipzig: Programmheft zu Mein Freund Bunbury, Musical von Gerd Natschinski, Leipzig 2007, S. 10 f.
- ↑ Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2024. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (
- ↑ SchöneDokusHD: (Doku) Die wilden Zwanziger (2/3) Paris - Ein Fest fürs Leben (HD) auf YouTube, 5. März 2017, abgerufen am 25. Februar 2024 (Laufzeit: 52:54 min).
- ↑ SchöneDokusHD: (Doku) Die wilden Zwanziger (3/3) Wien - Ein Tanz am Abgrund (HD) auf YouTube, 5. März 2017, abgerufen am 25. Februar 2024 (Laufzeit: 52:57 min).