Miamiensis avidus | ||||||||||||
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REM-Aufnahme von Miamiensis avidus | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Miamiensis avidus | ||||||||||||
Thompson & Moewus, 1964[1][2] |
Miamiensis avidus ist eine Art (Biologie) einzelliger mariner Wimpertierchen, die eine ganze Reihe verschiedener Fischarten parasitiert. Die Art gehört der Gruppe (Unterklasse) Scuticociliatia –
die bei Tieren durch parasitäre Vertreter dieser Gruppe hervorgerufene Krankheiten werden allgemein als Scuticociliose[3] (englisch scuticociliatosis) bezeichnet. Unter diesen gilt Miamiensis avidus als wirtschaftlich bedeutsamer Erreger der Scuticociliose bei Zuchtfischen.[4]
M. avidus wird insbesondere auch für das (Knochen-)
Beschreibung
Morphologie
Die Zellen von M. avidus sind oval mit einem relativ spitzen vorderen Ende und einer kontraktilen Vakuole am abgerundeten hinteren Ende der Zelle. Die Zellen weisen mehrere Kinetien (Reihen von Cilien) entlang der Hauptachse des Zellkörpers auf, sowie ein einzelnes kaudales (schwanzartiges) Cilium.[1][6] Die Beschreibungen variieren in Bezug auf die Anzahl der Kinetien pro Zelle und reichen von 10[1][7] bis zu 14.[6][7] Jede Zelle besitzt einen Makronukleus und einen Mikronukleus.[6][7] Die ursprüngliche Beschreibung von 1964 betonte die Bedeutung der Morphologie der Buccalhöhle (Strukturen um den Zellmund) und insbesondere der spezialisierten oralen Cilien für die Unterscheidung zwischen verwandten Wimpertierchen.[1] Die Beschreibungen dieser Merkmale unterscheiden sich geringfügig voneinander, so dass ihnen evtl. M. avidus selbst und eng verwandte Arten zugrunde liegen könnten.[6][7]
Lebenszyklus
Der Lebenszyklus von M. avidus umfasst wie beschrieben mindestens drei Stadien:[8][9]
- das Mikrostom: Ernährung hauptsächlich von Bakterien;
- das Makrostom: gefräßiges Stadium mit größerer Mundhöhle, Ernährung hauptsächlich vom Wirtsgewebe oder anderen Protozoen;
- das Tomit: hunger-induziertes kleineres Ausbreitungsstadium ohne Ernährung, kleineres Ausbreitungsstadium.
Die komplizierte Abfolge der morphologischen Mikrostom-Makrostom-Transformation von M. avidus wurde 1993 von Eduardo Gómez-Saladín und Eugene B. Small beschrieben.[8]
Ökologische Signifikanz
Die Mitglieder der Scuticociliatia sind Einzeller, die gewöhnlich frei in marinen Umgebungen leben, aber auch als opportunistische oder fakultative Parasiten auftreten können. M. avidus infiziert ein breites Spektrum von Teleostei (Echten Knochenfischen, z. B. Seepferdchen) sowie andere Meeresorganismen wie Haie und Krebstiere.[4] Die Spezies ist einer der am besten charakterisierten Vertreter der Gruppe der Scuticociliatia, die bekannterweise bei Fischen die sog. Scuticociliose[3] (englisch scuticociliatosis) verursachen, bei der die histophagen (gewebefressenden) Wimpertierchen Zellen des Bluts, der Haut und schließlich der inneren Organe ihrer Wirte konsumieren. Die Krankheit hat eine besonders hohe Sterblichkeitsrate bei Plattfischen, was möglicherweise auf ihre bodennahe Lebensweise, die auch häufigen Hautkontakt zwischen den Individuen bedingt, zurückzuführen ist.[4] In einer Vergleichsstudie breiteten sich Infektionen mit M. avidus innerhalb der Wirtsfische weiter aus und hatten eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate als mit anderen ähnlichen Scuticociliatia.[10] Durch M. avidus verursachte Infektionen wurden sowohl in Wildfischpopulationen als auch in Aquakultur beschrieben (was diese Spezies zu einem wirtschaftlich bedeutsamen Krankheitserreger macht).[4]
M. avidus wird für einen weithin berichteten Ausbruch der Scuticociliose im Jahr 2017 an der Küste Nordkaliforniens und in der Bucht von San Francisco verantwortlich gemacht, bei dem Tausende von toten Fischen und Leopardenhaien in dieser Bucht gefunden wurden.[5] 2016 wurde das Isolat M. avidus 20151209-01 bei Infektionen von Sepia pharaonis (englisch pharaoh cuttlefish, Gattung: Sepien) nachgewiesen,[11][12] Stamm SJF-03B bei Paralichthys olivaceus (englisch olive flounder, Scheinbutte).[11] 2024 wurde M. avidus (Stämme shaceng1 und xiapu1) als Auslöser der Scuticociliose bei Larimichthys crocea (englisch large yellow croaker, Umberfische) in der chinesischen Provinz Fujian (Shaceng Bay, Fuding und Sandu Bay, Ningde) identifiziert.[11]
Es ist unklar, was die Transformation freilebender M. avidus dazu veranlasst, eine Infektion auszulösen; experimentelle Infektionen unter Laborbedingungen haben hinsichtlich des Infektionsmechanismus noch zu keinen einheitlichen Ergebnissen geführt. Die Ergebnisse unter verschiedenen Bedingungen und mit verschiedenen Wirtsarten variieren darin, ob freilebende Wimperntierchen gesunde Fische infizieren können oder ob sie eine abgescheuerte oder beschädigte Hautoberfläche benötigen.[4] Infektiösen Parasiten exprimieren häufig Protease-Enzyme, die das Wirtsgewebe schädigen; es wird angenommen, dass sie auch bei M. avidus eine Rolle spielen.[13] Bereits seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Transformation bei M. avidus durch einen von der Beute stammenden löslichen Faktor ausgelöst wird, dessen genaue Identität allerdings noch unbekannt ist.[14]
Kultivierung
Stamm M. avidus shaceng1 konnte, wie 2024 berichtet, kultiviert werden, indem er mit Bakterien des Stamms Escherichia coli DH5α gefüttert wurde. Während der testweisen Infektion von Larimichthys crocea mit diesem Stamm wurde diese Fütterung eingestellt.[11]
Systematik
Die Art Miamiensis avidus ist ein Mitglied der Scuticociliatia genannten Gruppe (Unterklasse) von Wimpertierchen, die 1964 erstmals beschrieben wurde.[1][15] Diese wurde bei einer Studie entdeckt, die ursprünglich der Erforschung von Viren bei Meeressäugetieren diente, und wurde aus den Körpern von Seepferdchen von Gewässern in der Nähe von Miami (Florida) isoliert.[1]
Die Scuticociliatia-Art Philasterides dicentrarchi (einen ähnliches Wimpertierchen und infektiöser Parasit bei Wolfsbarschen im Mittelmeer)[16] wurde zeitweilig (2007–2017) als Juniorsynonym (jüngeres Synonym) von Miamiensis avidus angesehen,[6][17] oder zumindest als nahe verwandt.[18] Jüngere physiologische und molekulare Studien haben jedoch gezeigt, dass P. dicentrarchi und M. avidus Stamm Ma/2 (alias ATCC 50180) unterschiedliche Arten sind,[7] und M. avidus (Isolat PC-U1) der Familie Uronematidae näher steht, Philasterides armatalis (Stamm GF2008062601) aber der Gattung Philaster.[19] Die molekulare Phylogenie der Scuticociliatia ist ein aktives Forschungsgebiet.[18][20][7][19]
Äußere Systematik: Mitglieder der Gattung Miamiensis mit Stand 24. Oktober 2024:
Gattung Miamiensis Thompson & Moewus, 1964(e,N,O,T,W)
- Spezies Miamiensis avidus Thompson & Moewus, 1964(e,N,O,T,W) [Miamiensis sp. WS-2012(N) und Paralichthys olivaceus scuticociliate SJJ-2004(N)]
– Typusart(T)[2]- Referenzstamm Ma/2 (alias ATCC 50180)[7]
- Stamm SJF-03B[11]
- Spezies Miamiensis blitzae(T)
- Spezies Miamiensis sp. 2 PJS-2009(N) [Paralichthys olivaceus scuticociliate SJJ-2004(N)]
Anmerkungen:
- (e) – Encyclopedia of Life (eoL)[21]
- (N)National Center for Biotechnology Information (NCBI) Taxonomy Browser[22] –
- (O)Ocean Biogeographic Information System (OBIS)[23] –
- (T)[24] – The Taxonomicon (taxonomy.nl)
- (W)World Register of Marine Species (WoRMS)[25] –
Etymologie
Der Name der Gattung verweist auf die Universität von Miami, wo die ersten Studien über dieses Wimpertierchen durchgeführt wurden, und das Art-Epitheton ‚avidus‘ bezieht sich auf seine „gierigen Fressgewohnheiten“.[1]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g Jesse C. Thompson, Liselotte Moewus: Miamiensis avidus n. g., n. sp., a Marine Facultative Parasite in the Ciliate Order Hymenostomatida. In: Journal of Protozoology, Band 11, Nr. 3, August 1964, S. 378–381; doi:10.1111/j.1550-7408.1964.tb01766.x (englisch).
- ↑ a b Taxon: Species Miamiensis avidus Thompson & Moewus, 1964 (protist). The Taxonomicon (taxonomy.nl). Stand: 1. Februar 2024.
- ↑ a b Stefanie Rossteuscher, Christian Wenker, Thomas Jermann, Thomas Wahli, Heike Schmidt-Posthaus: Chronische Scuticociliose in Fetzenfischen aus dem Basler Zoo. Auf: XI. Gemeinschaftstagung der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizer Sektion der European Association of Fish Pathologists (EAFP-Tagung), Murten, 11.–13. Oktober 2006, S. 182–188; 2006 murten.pdf Gesunde Fische überall (PDF).
- ↑ a b c d e Sung-Ju Jung, Patrick T. K. Woo: Fish parasites: pathobiology and protection. Hrsg.: Patrick T. K. Woo, Karl Buchmann. CABI, Wallingford, Oxfordshire 2012, ISBN 978-1-84593-806-2, Scribd:380600757, Academia:40087486, Chapter 5: Miamiensis avidus and related species, S. 73–91, doi:10.1079/9781845938062.0000 (englisch).
- ↑ a b Bigad Shaban, Rachel Witte, Michael Horn: Thousands of Sharks, Other Sea Life Mysteriously Die in San Francisco Bay, 2. Oktober 2017. Stand: 5. Oktober 2017. Abgerufen am 25. Oktober 2024 (englisch).
- ↑ a b c d e Sung-Ju Jung, Shin-Ichi Kitamura, Jun-Young Song, Myung-Joo Oh: Miamiensis avidus (Ciliophora: Scuticociliatida) causes systemic infection of olive flounder Paralichthys olivaceus and is a senior synonym of Philasterides dicentrarchi. In: Diseases of Aquatic Organisms (DAO), Band 73, Nr. 3, ISSN 0177-5103, 2007, S. 227–234; doi:10.3354/dao073227, PMID 17330742, Epub 18. Januar 2007 (englisch).
- ↑ a b c d e f g Ana-Paula De Felipe, Jesús Lamas, Rosa-Ana Sueiro, Iria Folgueira, José-Manuel Leiro: New data on flatfish scuticociliatosis reveal that Miamiensis avidus and Philasterides dicentrarchi are different species. In: Parasitology, Band 144, Nr. 10, 29. Mai 2017, S. 1394–1411; doi:10.1017/S0031182017000749, PMID 28552088, hdl:10261/177213 (englisch).
- ↑ a b Eduardo Gómez-Saladín, Eugene B. Small: Oral Morphogenesis of the Microstome to Macrostome Transformation in Miamiensis avidus Strain Ma/2. In: Journal of Eukaryotic Microbiology. 40. Jahrgang, Nr. 3, Mai 1993, S. 363–370, doi:10.1111/j.1550-7408.1993.tb04929.x (englisch).
- ↑ Eduardo Gómez-Saladín, Eugene B. Small: Starvation Induces Tomitogenesis in Miamiensis avidus Strain Ma/2. In: Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 40, Nr. 6, November 1993, S. 727–730, doi:10.1111/j.1550-7408.1993.tb04466.x (englisch).
- ↑ Jun-Young Song, Shin-Ichi Kitamura, Myung-Joo Oh, Hyun-Sil Kang, Je-hee Lee, Shin-Ji Tanaka, Sung-Ju Jung: Pathogenicity of Miamiensis avidus (syn. Philasterides dicentrarchi), Pseudocohnilembus persalinus, Pseudocohnilembus hargisi and Uronema marinum (Ciliophora, Scuticociliatida). In: Diseases of Aquatic Organisms (DAO), Band 83, 12. Februar 2009, S. 133–143; doi:10.3354/dao02017, PMID 19326794 (englisch).
- ↑ a b c d e f g Nengfeng Lin, Ying Pan, Zifeng Zhan, Binfu Xu, Hui Gong, Hong Zeng: Miamiensis avidus, a Novel Scuticociliate Pathogen Isolated and Identified from Cultured Large Yellow Croaker (Larimichthys crocea). In: MDPI: Pathogens, Band 13, Nr. 8, Section Parasitic Pathogens, 26. Juli 2024, S. 618; doi:10.3390/pathogens13080618 (englisch).
- ↑ a b NCBI Nucleotide: Miamiensis avidus isolate 20151209-01 … Zugriffsnr. KY082893.
- ↑ Jung Soo Seo, Eun Ji Jeon, Sung Hee Jung, Myoung Ae Park, Jin Woo Kim, Ki Hong Kim, Sung Ho Woo, Eun Hye Lee: Molecular cloning and expression analysis of peptidase genes in the fish-pathogenic scuticociliate Miamiensis avidus. In: BMC: Veterinary Research, Band 9, Nr. 1, 11. Januar 2013, S. 10; doi:10.1186/1746-6148-9-10, PMC 3599101 (freier Volltext), PMID 23311870 (englisch).
- ↑ Eduardo Gómez-Saladín, Eugene B. Small: Prey-induced Transformation of Miamiensis avidus Strain Ma/2 by a Soluble Factor. In: Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 40, Nr. 5, September 1993, S. 550–556, doi:10.1111/j.1550-7408.1993.tb06106.x (englisch).
- ↑ WoRMS: Miamiensis avidus Thompson & Moewus, 1964 (Genus).
- ↑ Armelle Dragesco, Jean Dragesco, Françoise Coste, Charles Gasc, Bernard Romestand, Jean-Christophe Raymond, Georges Bouix: Philasterides dicentrarchi, n. sp., (Ciliophora, scuticociliatida), a histophagous opportunistic parasite of Dicentrarchus labrax (Linnaeus, 1758), a reared marine fish. In: European Journal of Protistology, Band 31, Nr. 3, August 1995, S. 327–340; doi:10.1016/S0932-4739(11)80097-0 (englisch).
- ↑ UniProt: Taxonomy - Miamiensis avidus (species).
- ↑ a b Miao Miao, Yangang Wang, Liqiong Li, Khaled A. S. Al-Rasheid, Weibo Song: Molecular phylogeny of the scuticociliate, Philaster (Protozoa, Ciliophora), with a description of a new species, P. apodigitiformis sp. nov. In: Systematics and Biodiversity, Band 7, Nr. 4, Dezember 2009, S. 381–388, doi:10.1017/S1477200009990193, bibcode:2009SyBio...7..381M, ResearchGate:231890359 (englisch). Siehe insbes. Fig. 1.
- ↑ a b c Ian Hewson, Isabella T. Ritchie, James S. Evans, Ashley Altera, Gabriel A. Delgado, Christina A. Kellogg, William C. Sharp, Matthew Souza, Mya Breitbart et al.: A scuticociliate causes mass mortality of Diadema antillarum in the Caribbean Sea. In: Science Advances, Band 9, Nr. 16, 19. April 2023; doi:10.1126/sciadv.adg3200 (englisch). Siehe insbes. Fig. 2.
- ↑ Feng Gao, Laura A. Katz, Weibo Song: Insights into the phylogenetic and taxonomy of philasterid ciliates (Protozoa, Ciliophora, Scuticociliatia) based on analyses of multiple molecular markers. In: Molecular Phylogenetics and Evolution. 64. Jahrgang, Nr. 2, August 2012, S. 308–317, doi:10.1016/j.ympev.2012.04.008, PMID 22525941, bibcode:2012MolPE..64..308G (englisch).
- ↑ eoL: Miamiensis (genus).
- ↑ NCBI Taxonomy Browser: Miamiensis, Details: Miamiensis (genus).
- ↑ OBIS: Miamiensis Thompson & Moewus, 1964.
- ↑ Taxon: Genus Miamiensis Thompson & Moewus, 1964 (protist). The Taxonomicon (taxonomy.nl). Stand: 1. Februar 2024.
- ↑ WoRMS: Miamiensis Thompson & Moewus, 1964 (Genus).