*): Gustav Adolf Sp., geboren am 1. Februar 1828 als Sohn eines Arztes zu Hamburg, † zu Berlin am 19. November 1891, war ein zu seiner Zeit sehr geschätzter Historien- und Genremaler. Von seiner Kindheit hatte er vier Jahre in Italien verlebt und kam erst als neunjähriger Knabe nach Hamburg zurück, wo er in eine in der Nähe von Hamburg gelegene Pension gegeben wurde. Schon mit 16 Jahren genoß er als fleißiger Schüler den Zeichenunterricht Hermann Kauffmann’s in Hamburg und ging dann 1845 auf die Gewerbe- und Zeichenschule nach Hanau, wo er unter Th. Pelissier bis zum Jahre 1847 sich weiter bildete. In diesem Jahre erkrankte er schwer und, sich nur langsam erholend, war er gezwungen, sich fast volle zwei Jahre jedes künstlerischen Schaffens zu enthalten. Von 1849–1851 war Sp. in Antwerpen, in der Absicht, seine Studien auf der dortigen Akademie zu vollenden. Der trockene akademische Unterricht sagte jedoch dem strebenden jungen Künstlergeiste nicht zu, und er suchte sich durch Selbststudien vorwärts zu bringen. In Antwerpen wurde er näher mit der französischen zeitgenössischen Malerei vertraut, die ihn ihrer farbigen Erscheinung wegen sehr anzog, und im J. 1851 siedelte Sp. nach Paris über, um daselbst, mit Unterbrechung kürzerer Reisen nach Südfrankreich, England und den Niederlanden, bis zum Jahre 1857 zu verbleiben. Der Pariser Aufenthalt war für Sp. seine fruchtbarste Zeit, in der er ungehemmt die verschiedenartigsten Eindrücke in sich aufnehmen und verarbeiten konnte. Er lebte in einem Kreise gleichgesinnter und demselben Ziele zugewandter Genossen, unter denen sein ebendaselbst die Malerei studirender Bruder, ferner Rud. Henneberg (1836 bis 1876) und Wilh. Lindenschmit (1829–1895) genannt seien. Sp. copirte viel im Louvre und war einige Monate lang Meisterschüler Thomas Couture’s (1815–1879), der damals auf der Höhe seines Ruhmes und nach Verdrängung Delaroche’s an der Spitze der Historienmaler stand. In den Arbeiten Couture’s war zuerst die Reaction gegen die asphaltbraune Malart der älteren Delacroix-Schule zum Ausdruck gekommen. Die Helligkeit seiner nackten Gestalten, die lichte Farbenstimmung seiner Gemälde muß den damaligen jungen Künstlern wie eine Offenbarung vorgekommen sein, und Sp. nahm eifrig das Neue, das ihm durch Couture vermittelt wurde, auf. Der Künstler folgte aber in Paris auch dem romantischen Zuge seiner Zeit. Hatte Couture mehr im scheinbaren Stile der Antike geschaffen, so war Spangenberg’s anderer Lehrer in Paris, der Bildhauer Triqueti (1802–1874), dessen Atelier er ein Jahr lang besuchte, ein Vertreter der mittelalterlichen Richtung, der Schöpfer von Figuren von z. Th. übertrieben romantischer Zartheit. Jedenfalls stellt es aber dem bewußten Schaffensdrange Spangenberg’s das beste Zeugniß aus, daß er außer bei einem Maler in Paris auch im Atelier eines Bildhauers arbeitete. Er hielt sich so von der Verweichlichung der Formen fern und wurde durch seine bildhauerische Thätigkeit immer von neuem auf die Plastik und Körperlichkeit seiner Gestaltungen hingewiesen. Materiell unabhängig konnte er frei seinen Neigungen gemäß schaffen; künstlerisch blieb er selbständig und auch in Paris ein echter Deutscher, in sich gefestigt und von dem Kampfe der Strömungen unbeirrt sein Ziel [622] verfolgend. Mit Vorliebe vertiefte er sich in das Studium der Werke der mittelalterlichen deutschen Kunst, insbesondere Dürer’s und Holbein’s. Durch die Romantik war das Mittelalter mit allen seinen Culturäußerungen zu neuem Ansehen gelangt, und Sp. hatte wohl bald erkannt, daß in Dürer und Holbein dessen getreueste, echteste und vornehmste Vertreter zu finden seien. Dieser deutsche mittelalterliche Geist, der den Werken Dürer’s und Holbein’s entströmte, hat Sp. bei allen seinen späteren Arbeiten beherrscht, seine Gestaltungen auf das stärkste beeinflußt, nur daß sie von der Helligkeit Couture’scher Kunst umflossen waren. Besonders vertieft hatte er sich in das Studium des Reformationszeitalters, dessen charaktervolle Persönlichkeiten ihm mancherlei Motive zu seinen Bildern lieferten, welch letztere er aber auch mit bedeutsamem Gedankeninhalt zu füllen eifrigst bestrebt war. Von Paris aus ging Sp. ein Jahr lang, Sommer 1857 bis Herbst 1858, nach Italien, das er dann nochmals, nachdem er sich 1858 dauernd in Berlin niedergelassen hatte, 1876/77 mit seiner Gattin, mit der er in glücklichster Ehe lebte, besuchte, nicht des Studiums wegen, sondern um seinen angestrengten Körper und Geist zu erfrischen. In Berlin wurde Sp. 1869 Akademieprofessor, er war ferner Mitglied der Akademien von Wien und Hanau, besaß die Medaille der histor. Ak. von Köln (1861), die kleine (1868) wie die große goldene Medaille (1876) von Berlin und die Kunstmedaille der Wiener Weltausstellung (1873). In den Jahren 1883 bis 1888 führte er Wandbilder im Treppenhause des Universitätsgebäudes zu Halle a. d. Saale aus, die aus dem Staatsfond für Kunstzwecke gestiftet waren und aus 20 Darstellungen in Beziehung auf die vier Facultäten bestanden. Die philosophische Facultät der Universität Halle verlieh ihm darauf die Würde eines Ehrendoctors.
SpangenbergSp. führte ein selbstzufriedenes, stilles Leben und griff auch in seinen reiferen Jahren niemals in das Treiben und den Streit der Künstler ein. Sein Atelier war allen, mit Ausnahme seiner allernächsten Freunde, von denen er auch einige porträtirt hat, verschlossen. Diese Bildnisse waren jedoch nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. In seiner Kunst lassen sich eine historische, eine symbolische und eine biblische Richtung unterscheiden. Seine schwärmerisch veranlagte, phantastisch reiche Natur suchte mit seinen Werken die Gestalten der Bibel und des Mittelalters durch die Allgemeinverständlichkeit ihrer Handlungen und Bewegungen den Mitmenschen nahe zu führen; dabei war Sp. bemüht, die Wirklichkeit sowohl durch das Colorit seiner Bilder, als auch in der ganzen Gestaltungsart gleichsam dichterisch verklärend aus der menschlichen Sphäre herauszurücken. Seine Historienbilder, die durch die Werke Dürer’s und Holbein’s vorbildlich befruchtet sind, zeichnen sich durch strenge Zeichnung und fleißige Durchbildung der Einzelheiten aus. Eines seiner Erstlingswerke „Der Rattenfänger von Hameln“ wurde 1860 mit begeistertem Beifall begrüßt, ebenso wie die nach Goethe entworfene „Walpurgisnacht“ 1862. Als sein bekanntestes Hauptwerk ist der 1876 vollendete „Zug des Todes“ zu bezeichnen. Der Tod als Gerippe im Gewande eines Meßners mit der Glocke einherschreitend, ihm folgend in unabsehbarem Zuge Vertreter aller Stände vom Papst und König bis zum Bauer und Landsknecht und aller Altersstufen, von den geistig verklärt blickenden Kindern, die vorausschreiten, bis zum Greis, der mühsam folgt. Die ergreifend schwermüthige Stimmung, die über dieses Bild gebreitet ist, hatte wohl mit seine Begründung der Entstehung in dem schweren Schicksalsschlage, der den Meister kurze Zeit vorher betroffen hatte. In den Kindern, die dem Glöckchen des Todes folgen, setzte er seinen eigenen Kindern ein Denkmal, die ihm damals schnell nacheinander [623] durch eine tückische Krankheit entrissen worden waren. Von seinen Werken giebt v. Boetticher nachstehende an:
I. Oelbilder: 1. Amsterdamer Waisenmädchen. Bez. G. S. p. Anvers 1851. Bes. Kunsthalle Hamburg. 2. Schulkinder, die Schule verlassend. 3. Von Hirten gefangener Faun. 1855 gemalt. 4. Eseltreibers Siesta. 1855 in Paris gemalt. Bes. Kunsthalle Hamburg. 5. Wallfahrt. 1857 in Paris gemalt. 6. Selbstbildniß des Künstlers. Brustbild 1860. 7. Der Rattenfänger von Hameln. 1860 gemalt. 8. Der Johannisabend in Köln. Die Bewohner werfen Blumen in den Strom, dessen Wellen alles zukünftige Unheil mit sich fortnehmen sollen. 1860 gemalt im Auftrage der Verbind. f. histor. Kunst. Bez. Gustav Spgnbg. Berlin 1861. Bes. Schles. Museum Breslau. 9. Die Walpurgisnacht. Gem. 1863. Bez. G. Spangenberg 1862. Bes. Kunsthalle Hamburg. 10. In der Dämmerung. Zwerge haben sich an die Wiege eine Kindes geschlichen, dieses betrachtend, während die dabeisitzende Mutter eingeschlummert ist. Bez. 1864. G. Spangenberg. 11. Perchta und die Heimchen. Nach einer altdeutschen Sage aus dem Saalthal. 12. Der Förster und seine Töchter. Bez. G. Spangenberg 1865. Bes. S. Majestät der Kaiser. Unter dem Namen „Im Försterhause“. Abb. Illustr. Ztg. 1866. 13. Luther im Kreise seiner Familie. Bez. G. Spangenberg 1866 Berlin. Bes. Städt. Museum, Leipzig. Abb. Ztschr. f. bild. Kunst 1877. 14., 15. Die Mutter an der Wiege; Frühlingstag. 1868. 16. Luther als Junker Georg im Schwarzen Bären zu Jena mit den beiden Schweizer Studenten und zwei Kaufleuten. 1868. 17., 18. Dornröschen im Thurm; Ein Kind im Grase. 1869. 19. Die Bibelübersetzung. Luther mit seinen Freunden Justus Jonas, Bugenhagen, Melanchthon, Rörer und Mathesius, sowie einem alten Rabbiner bei der Uebersetzung des alten Testaments. 1870 gemalt. Bes. Nationalgalerie Berlin. 20. Hans Sachs, seine Dichtungen vorlesend. Bez. G. Spangenberg 1871. Bes. Nationalgalerie Berlin. 21. Luther im Hause der Frau Cotta, zum Mittagsmahle aufgefordert. Bez. G. Spangenberg 1872. Abb. Meisterwerke XII. 22. Luthers Einzug in Worms. Gem. 1873 i. Auftrage der Verbindung f. histor. Kunst; Bez. G. Spangenberg 1873. Bes. Stadtmuseum Königsberg. 23. Zigeunerfamilie im Walde. Bez. 1874. 24., 25. Das Märchen von der Königstochter und dem Riesen, in zwei Bildern. Gem. 1874. 26–28. Rüdesheimer, Liebfrauenmilch, Burgunder (24–28 zum Cyclus eines Wandschmucks im Hause des Künstlers). 29. Der Zug des Todes. Bez. Gustav Spangenberg 1876. Bes. Nationalgalerie Berlin. Abb. Gartenlaube 1879, Daheim 1892. 30. Klosterschüler. 1876. 31. Am Scheidewege. Ein Landmädchen zwischen den allegorischen Gestalten des Lasters, als einer reichgekleideten und geschmückten und der Tugend als einer ärmlich gekleideten Frauengestalt mit der Spindel. 1878–80 gemalt. Abb. Daheim 1880. 32. Am Scheidewege. Kleinere veränderte Wiederholung des Bildes. 1878. 33. Irrlicht. Ein Jäger durch pfadloses hohes Schilf einer von Licht umstrahlten, schwebenden Frauengestalt nacheilend. 1879–80 gemalt. 34. Oelgrisaille: Luthers Verlobung. 1879. 35. Die Frauen am Grabe des Heilands. 1880. Abb. Daheim 1882. 36. Der Hausgeist. Der Geist von einer Magd mit Wein bedient. Bez. G. Spangenberg 1880. Abb. Daheim 1882. 37. Kinderporträt, die Tochter des Künstlers. Kniestück. 38. Legationsrath von Lancizolle. Brustbild. 39. Weibl. Brustbild. Gertrud von Lancizolle verm. Pensuti. 40. Sinnendes Mädchen. Ausgeführte Studie. 41. Mutterglück. 1891. 42. Domine quo vadis? Christus dem geflohenen Petrus vor den Thoren Roms erscheinend. 1891 gemalt. 43. Der Tod und die Braut. 44. Wiedersehen! Landung der Seelen am Gestade des Jenseits, nach einer [624] Stelle in Dante’s Purgatorio. Letztes, unvollendetes Bild. Geschenk der Wittwe an die Nationalgalerie Berlin.
II. Wandbilder im Treppenhaus des Universitätsgebäudes zu Halle a. d. Saale. Ausgeführt 1883–1888. Der allegorischen Darstellung jeder Facultät schließen sich je zwei auf diese bezügliche Compositionen und als Eckbilder die Gestalten berühmter Gelehrter an. 1. Theologie mit Paulus in Athen und Johannes dem Täufer, als Eckbilder: Luther und Melanchthon. 2. Philosophie mit Sokrates und Aristoteles im Kreise ihrer Schüler, als Eckbilder: Christian Wolff und Friedrich August Wolf. 3. Jurisprudentia mit der Historie der Susanna und dem Urtheil Salomo’s, als Eckbilder: Böhmert und Thomasius. 4. Medicina mit Petri Heilung des Lahmen und der Heilung des blinden Tobias, als Eckbilder: Krukenberg und Reil. Die Entwürfe hierzu, 4 Cartons und 29 Zeichnungen in Aquarell, Röthel, Kohle und Kreide, waren auf der Spangenberg-Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie im März 1892 zu sehen.
Von Sp. existiren ferner noch eine große Zahl Entwürfe, Studien und Zeichnungen, u. a. zwölf sehr interessante Bleistiftzeichnungen, Entwürfe zur Illustrirung von Grimm’s Märchen. Sp. stellte als Unterrichtswerk unter der Bezeichnung „Die Mädchenschule“ 13 Blätter figürliche und landschaftliche Studien in Kreide und Blei her, die im. J. 1892 für die Berliner Nationalgalerie angekauft wurden.
- Malerwerke des 19. Jahrhunderts. Beitrag zur Kunstgeschichte von Frdr. v. Bötticher, II. Bd., 2. Hälfte (S–Z). Dresden 1901. – G. Spangenberg von Dr. Oskar Doering in „Daheim“, XXVIII. Jahrg. 1892, S. 234 f. – Die Berliner Nationalgalerie von Adolf Rosenberg in „Gartenlaube“ 1879, Nr. 15. – Müller-Singer Künstlerlexikon, Artikel Spangenberg.
[621] *) Zu Bd. LIV, S. 408.