Gunzelin von Hagen, welcher in der Gefolgschaft des Sachsenherzogs Heinrichs des Löwen an den Kriegszügen desselben gegen die heidnischen Slawen in Mecklenburg Theil nahm und zum Lohn seiner Tapferkeit nach der Besiegung und dem Tode des Wendenfürsten Niklot (1160) mit der neugebildeten Grafschaft Schwerin im J. 1166 belehnt ward. H. ward um 1155 geboren; seine Jugend fällt also in die Zeit der Kämpfe der verbündeten Sachsen und Dänen wider die Slawen und der Fehden Heinrichs des Löwen mit seinen Widersachern in Deutschland, welche Ereignisse schon in dem Knaben kriegerischen Sinn und die Lust an kühnen Unternehmungen weckten. – Nach seines Vaters Tode (1185) und seines älteren Bruders Helmold I. Entsagung (1194) führte er mit seinem dritten Bruder Gunzelin II. – (der zweite Bruder Hermann war damals Bischof zu Schwerin) – bis zu dessen Tode im J. 1221 die Regierung gemeinsam. Inzwischen aber hatte sich seit Heinrichs des Löwen Sturz die ganze politische Lage im Norden völlig verändert. Aus Verbündeten, deren Hülfe der Sachsenherzog seiner Zeit benutzte, waren die Dänen alleinige Herren des Nordens geworden, indem der König Knud VI. die Obotritenfürsten zwang, seine Lehnshoheit anzuerkennen, und durch den Sieg bei Waschow in der Nähe von Wittenburg in Mecklenburg (1201) auch die Grafschaften Ratzeburg und Holstein nebst Lauenburg unter seine Botmäßigkeit brachte, so daß sein Bruder und Nachfolger Waldemar II. nach seiner Thronbesteigung im J. 1203 sich zu Lübeck von diesen gesammten überelbischen Landen als König der Dänen und Wenden und Herren von Nordalbingien huldigen ließ. Waldemars Absichten aber richteten sich auf stete Vergrößerung und Festigung seiner Macht, und so ergriff er gern eine Gelegenheit zur Einmischung in die Streitigkeiten der Grafen H. und Gunzelin II. von Schwerin mit einem ihrer Lehnsmannen, um sie zunächst (1208) gänzlich aus ihrer Grafschaft zu vertreiben und sie sodann 1214 als seine Vasallen wieder einzusetzen. Nur der traurige Zustand im deutschen Reiche, herbeigeführt durch die andauernden Parteikämpfe zwischen Welfen und Ghibellinen, ermöglichte diese Machterweiterung Dänemarks, und Kaiser Friedrich II., eben um Waldemar von der Partei Otto’s IV., des Welfen, zu den Ghibellinen herüberzuziehen, bestätigte dem Dänenkönige auf dem Reichstage [619] zu Metz urkundlich sogar den Besitz der gesammten bis dahin zum deutschen Reiche gehörigen, nördlich der Mark zwischen Elbe und Oder gelegenen Länder, – Eroberungen welche Waldemar noch über Pommern und Rügen hinaus auf Pomerellen bis nach Livland und Esthland hinein ausdehnte in der Absicht, Dänemark zur ersten Macht des Nordens zu erheben. So genügte ihm die Lehnshoheit über die Grafschaft Schwerin nicht, er trachtete eben nach dem thatsächlichen Besitz und nahm daher bei dem Tode des Grafen Gunzelins II. (1221) ohne weiteres Besitz von der halben Grafschaft mit der Burg und Stadt Schwerin, indem er Erbansprüche geltend machte für seinen unmündigen Enkel, den jungen Grafen Nicolaus von Halland, als Sohn der Tochter des Grafen Gunzelin II., welche Waldemar bei Wiedereinsetzung der Grafen im J. 1214 für seinen natürlichen Sohn Nicolaus (Grafen von Halland) zur Gemahlin ausbedungen hatte unter Mitgift der halben Grafschaft Schwerin. Der König konnte ungehindert auch diese Besitzergreifung durch seinen Statthalter, den Grafen Albert von Orlamünde, zur Ausführung bringen, da Graf H. gerade damals noch auf einer Kreuzfahrt ins heilige Land begriffen war. Dieser kehrte erst nach Jahresfrist zurück und fand Land und Burg seines Vaters vom Dänen besetzt. Bis dahin wenig genannt und nur gleich andern Fürsten und Grafen des Reiches als Herr eines kleinen Territoriums bekannt, sollte nunmehr Heinrichs Name bald in Deutschland und über dessen Grenzen hinaus mit Ruhm und Auszeichnung genannt werden. Der Graf nämlich war keineswegs gewillt zu solcher Vergewaltigung zu schweigen; und da er durch gütliche Verhandlungen beim mächtigen Dänenkönig nichts erreichen konnte, brachte er einen Plan zur Reife, dem an Entschlossenheit und Kühnheit nur wenige Thaten in der Geschichte gleichen. Was der Jüngling von den Großthaten eines Heinrichs des Löwen gehört und miterlebt hatte, was er wußte von den kühnen Kämpfen seines Vaters Gunzelin, durch welche derselbe manche Schlachten für seinen großen Lehnsherrn zu ruhmreichem Siege entschieden hatte, das begeisterte jetzt den Mann zu höchstem Wagniß. Er begab sich, begleitet von wenigen Getreuen, persönlich zum König, welcher gerade auf der kleinen Insel Lyoe, südwestlich von Fühnen mit seinem Hoflager zur Jagd weilte. Alle erneuten gütlichen Vorstellungen Heinrichs fruchteten nichts, und so kam die That der Rache zur Ausführung, welche bald Europa in Staunen setzte. – In der dunklen Nacht vom 6. auf den 7. Mai (1223) bemächtigte sich der muthige Graf mit Gewalt der Person des Königs und seines Sohnes Waldemar, welche unbewacht und ermüdet von den Strapazen der Jagd in ihrem Zelte ruhten und führte sie im bereit gehaltenen Schiff eilends an die sichere deutsche Küste, ohne daß des Königs Gefolge ahnte, was vorging. Da aber Stadt und Burg Schwerin von den Dänen besetzt war, so brachte H. seine stolze Beute zunächst nach Lenzen in der Mark (mit welcher Burg er von den Markgrafen von Brandenburg belehnt war) und von dort bald hernach auf die Burg des befreundeten Grafen zu Danneberg. Erst nach Vertreibung der Dänen aus Schwerin (1225) wurden die Gefangenen im dortigen Schlosse untergebracht. Ueberall in Deutschland, ja im ganzen Abendlande machte diese außerordentliche That das größte Aufsehen, und sowohl der Kaiser, als auch der Papst ergriffen offen Partei, jener für, dieser wider H. Aber alle Verhandlungen und selbst Drohungen von Seiten Dänemarks wegen sofortiger Freigabe der Gefangenen, wie auch die wiederholten Androhungen des Kirchenbannes von Seiten des Papstes Honorius III. vermochten nicht, den kühnen Grafen einzuschüchtern, oder auch nur seine allerdings sehr hoch gestellten Forderungen, welche König Waldemar mit Stolz zurückwies, herabzustimmen, und zwar um so weniger, als ihm sofort der Graf von Holstein, der Erzbischof von Bremen und auch die mecklenburgischen Fürsten [620] in dem nunmehr unvermeidlich gewordenen Kriege die Hand zum Bündniß reichten. Beide Parteien rüsteten und im Januar 1225 kam es bei Mölln in Lauenburg zur Schlacht, in welcher die Dänen geschlagen wurden, und sogar der Reichsverweser Graf Albert von Orlamünde in die Gewalt der Feinde fiel, um jetzt das Loos seines Königs auf der Burg zu Schwerin zu theilen. Das Glück hatte den bis dahin stets siegreichen König, welcher den Beinamen „der Sieger“ führte, verlassen. Zu den harten Bedingungen des Grafen kamen nun noch die Forderungen der Bundesgenossen desselben, so daß Waldemar im Vertrage zu Bardewieck (im November 1225) seine und seines Sohnes Freiheit theuer genug erkaufen mußte mit Zahlung von 45 000 Mark Silber, mit Herausgabe der Grafschaft Schwerin an H. und ebenso Holsteins an den Grafen Adolf, ferner durch Verzicht auf alle deutschen Eroberungen mit Ausnahme von Rügen und endlich durch Gewährung völliger Handelsfreiheit für die norddeutschen Städte. Auch mußte Waldemar eidlich geloben, wegen seiner Gefangennahme nicht Rache nehmen zu wollen, und zur Sicherung des Vertrages drei seiner Söhne als Geiseln zu stellen. – Sobald aber der König die Freiheit erlangt hatte und nach völliger Zahlung des Lösegeldes im folgenden Jahre auch sein Sohn, so trachtete Waldemar nur danach, den alten Waffenruhm und seine Macht wieder herzustellen. Heimlich ward gerüstet, und als nun der Papst den König seines Eides entband, trat dieser mit offener Feindseligkeit hervor. Bei Bornhöft in Holstein kam es zur Schlacht (22. Juli 1227). Den ganzen Tag währte der blutige und erbitterte Kampf, bis endlich durch den Uebertritt der Dithmarsen zum deutschen Heere die vollständige Niederlage der Dänen herbeigeführt ward. Der König selbst, am Auge schwer verwundet, entging kaum einer zweiten Gefangenschaft und sah sich genöthigt, den Vertrag von Bardewieck zu erneuern und in seinem ganzen Umfange zu erfüllen, ferner für seine drei noch als Geiseln in Schwerin zurückbehaltenen Söhne weitere 7000 Mark Silber zu zahlen und für immer seinen Plänen auf Begründung einer dauernden Herrschaft Dänemarks in den deutschen Küstenländern zu entsagen. – So scheiterten die großen Entwürfe eines mächtigen Königs an der Heldenhaftigkeit und Kühnheit eines bis dahin wenig genannten Grafen, der ein Rächer des Unrechts seinem Land und Volk erstand, und Allen, welche durch sein Beispiel ermuthigt, ihm zu kühnem Bündniß gegen den übermächtigen Feind die Hand reichten, ein Befreier und Erretter vom Joch der Fremdherrschaft ward. Und eben dies macht Heinrichs That so bedeutsam für die deutsche Geschichte und sichert seinem Namen den gebührenden Ruhm auch bei den kommenden Geschlechtern seiner Nation. – Aber nicht allein auf politischem Gebiet knüpften sich Ereignisse von so großer Bedeutung an Heinrichs Namen, auch das kirchliche Leben seiner Zeit – dessen Formen und Anschauungen wir allerdings jetzt nach ihrem inneren Werth mit anderem Maßstab messen – erfuhr durch H. eine weit über die engen Grenzen seiner Herrschaft hinausgehende Anregung und die Kirche seines Landes eine nicht unerhebliche Bereicherung. Er erlangte nämlich auf seinem Pilgerzuge nach Palästina „mit großen Mühen und Kosten von dem dortigen Cardinallegaten Pelagius das in einen Jaspis eingeschlossene Blut unseres Herrn“ und ließ dasselbe nach seiner Rückkehr (1222) am Grünen Donnerstage vom Bischof Brunward feierlichst als eine der seltensten Reliquien in der Begräbnißcapelle seines Vaters und seiner Brüder im Dom zu Schwerin in Verwahrsam nehmen. Bald erscholl gemäß dem damals herrschenden Glauben der Ruf von diesem seltenen Kleinod und dessen vermeintlichen Wunderwirkungen weit und breit in Deutschland, und gläubige Pilger und Heilung suchende Krüppel zogen zu Tausenden, reichliche Opfer spendend, zur heiligen Blutscapelle im Dom zu Schwerin, so daß aus diesen reichlich fließenden Mitteln dieser bis dahin unvollendete Bau bereits im [621] J. 1248 geweiht, ferner ein Franciscanerkloster daselbst gebaut und die Einkünfte der dortigen Domherren beträchtlich aufgebessert werden konnten. Brachte somit diese Erwerbung Heinrichs freilich auch recht reichliche Früchte, so hängt doch der bleibende Ruhm seines Namens vielmehr an den dargelegten ungleich bedeutsameren Folgen seiner politischen Kämpfe und Siege, deren er sich allerdings nicht mehr lange erfreuen sollte, indem schon im J. 1228 am 17 Febr. der Tod ihn aus seiner zuletzt so ruhmreichen Laufbahn abrief und ihn in eben jene Domcapelle zu Schwerin bettete, wo bereits sein Vater und seine Brüder ruhten.
Heinrich I., „der Schwarze“, Graf von Schwerin, war der vierte Sohn des Edlen