
Walter Simons (* 24. September 1861 in Elberfeld (heute Stadtteil von Wuppertal); â 14. Juli 1937 in Nowawes bei Potsdam) war ein deutscher Jurist und parteiloser Politiker. Der frĂŒhere Ministerialbeamte im AuswĂ€rtigen Amt war von 1920 bis 1921 ReichsauĂenminister. Von 1922 bis 1929 diente er als PrĂ€sident des Reichsgerichts. Nach dem Tod Friedrich Eberts fĂŒhrte er von Februar bis Mai 1925 als Stellvertreter die GeschĂ€fte des ReichsprĂ€sidenten.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Walter Simons wurde als Sohn des Fabrikbesitzers Louis Simons (1831â1905) und seiner Frau Helene geb. Kyllmann (* 1842) in Elberfeld (Rheinprovinz) in der Villa Simons geboren. MĂŒtterlicherseits war er Enkel des Kaufmanns und Politikers Gottlieb Kyllmann und Neffe des Architekten Walter Kyllmann. VĂ€terlicherseits war er Enkel des Unternehmers Friedrich Wilhelm Simons-Köhler und GroĂneffe des preuĂischen Justizministers Ludwig Simons. Er war ein SchĂŒler des Juristen Rudolph Sohm, vom Humanismus gebildet und vom Pietismus geprĂ€gt.
Nach dem Studium von Geschichte, Philosophie, Recht und Nationalökonomie in StraĂburg, Leipzig und Bonn. Er wurde im Sommersemester 1882 Mitglied im Bonner Kreis.[1] Nach dem ersten juristischen Staatsexamen 1882 leistete er MilitĂ€rdienst. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen 1888 war er zunĂ€chst Hilfsrichter, bis er 1893 Amtsgerichtsrat in Velbert wurde. Nach Positionen am Reichsjustizamt 1905 und am AuswĂ€rtigen Amt 1911 wurde Simons im Oktober 1918 Chef der Reichskanzlei. Als solcher nahm er an den Verhandlungen zum Frieden von Bukarest mit RumĂ€nien und zum Frieden von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland teil. Am 4. Oktober 1918 holte Reichskanzler Max von Baden Simons als seinen persönlichen Vertrauten im Amt eines Ministerialdirektors in die Reichskanzlei. Von hier aus verkĂŒndete Simons am 9. November 1918, Kaiser Wilhelm II. habe auf den Thron verzichtet. Simons wollte mit dieser wahrheitswidrigen Verlautbarung der Ausrufung der Republik in Deutschland zuvorkommen und die Monarchie retten, was misslang.[2]
Simons wechselte im Dezember 1918 in die Rechtsabteilung des AuswĂ€rtigen Amtes. In dieser Funktion war er GeneralsekretĂ€r der deutschen Friedensdelegation in Versailles und trat zurĂŒck, weil er den Vertrag von Versailles ablehnte. 1919/1920 war Simons leitender GeschĂ€ftsfĂŒhrer im Reichsverband der Deutschen Industrie.[3]
Vom 25. Juni 1920 bis zum 4. Mai 1921 war Walter Simons AuĂenminister der Weimarer Republik im Kabinett Fehrenbach, einer Regierungskoalition aus Zentrum, DDP und DVP. Der Historiker Hans Mommsen sah in der Berufung des parteilosen Karrierejuristen Simons den Versuch, die AuĂenpolitik bei den anstehenden schwierigen Reparationsverhandlungen mit den SiegermĂ€chten von innenpolitischen RĂŒcksichten auf den Reichstag freizuhalten.[4] Dies gelang nur teilweise. Simons vertrat Deutschland bei der Konferenz von Spa im Juli 1920. Dabei gelang es den Deutschen zwar nicht, die Reparationsforderungen der SiegermĂ€chte zu senken, aber immerhin wurde ihnen zugestanden, zu den sich anschlieĂenden Expertenberatungen eigene Vertreter zu entsenden. Die Zeit der einseitigen Diktate schien damit vorbei. Zu diesem Teilerfolg trug Simons mit seiner verbindlichen Art bei: er konnte den âĂŒblen Eindruckâ (Peter KrĂŒger) abmildern, den der deutsche Experte Hugo Stinnes mit einer auftrumpfenden Rede bei den SiegermĂ€chten hinterlassen hatte.[5]
Auf der Konferenz von London im FrĂŒhjahr 1921 erlebte die deutsche Delegation eine Niederlage, auch weil sie zerstritten war: Simons wollte GroĂbritannien, Frankreich, Italien, Belgien und Japan in der Reparationsfrage entgegenkommen und hoffte als Gegenleistung auf eine internationale Anleihe fĂŒr Deutschland, doch die Interessenvertreter der Wirtschaft widersetzten sich. Der Plan, den Simons unter starkem innenpolitischem Druck am 1. MĂ€rz 1921 vorlegte, verband ein Zahlungsangebot in Höhe von 50 Milliarden Goldmark mit der Forderung nach ZugestĂ€ndnissen der SiegermĂ€chte in der Kriegsschuldfrage. Als diese jedoch ultimativ eine Unterschrift unter ihren Zahlungsplan verlangten, weigerten sich Kanzler Constantin Fehrenbach und Simons: Sie reisten unter Protest ab, was in Deutschland zunĂ€chst als Geste der Festigkeit allgemein bejubelt wurde. Das Ergebnis war am 8. MĂ€rz 1921 die Besetzung von DĂŒsseldorf, Duisburg und Ruhrort durch britische, französische und belgische Truppen. Simonsâ Vermittlungsbitte an die Vereinigten Staaten verhallte ungehört. Am 4. Mai legten die ReparationsglĂ€ubiger den Londoner Zahlungsplan vor, der eine deutsche Reparationsschuld von 132 Milliarden Goldmark vorsah, die noch verzinst werden sollte. Dies glaubte Simons nicht verantworten zu können und trat mit dem ganzen Kabinett am selben Tag zurĂŒck.[6] Das nachfolgende Kabinett Wirth I nahm das Londoner Ultimatum am 10. Mai 1921 an.
Der britische Premierminister David Lloyd George hatte Simons wĂ€hrend der Verhandlungen in einem Interview mit dem Petit Parisien als âsehr intelligent und sehr ehrlich, aber nicht stark genugâ bezeichnet; Deutschlands Problem sei es, dass es nach dem verlorenen Krieg noch keinen âstarken Mannâ wie LĂ©on Gambetta oder Adolphe Thiers gefunden habe. Diese Passage wurde 1926 von Adolf Hitler in Mein Kampf als Beleg fĂŒr die angebliche SchwĂ€chlichkeit bĂŒrgerlicher Regierungen zitiert, die nicht entschieden den Marxismus bekĂ€mpften. Allerdings unterliefen Hitler dabei zwei Fehler, denn er schrieb von dem âehemaligen Reichskanzler Simon [sic!]â.[7]

Simons war von 1922 bis 1929 PrĂ€sident des Reichsgerichts in Leipzig, ernannt vom sozialdemokratischen ReichsprĂ€sidenten Friedrich Ebert. Ebert starb am 28. Februar 1925; als PrĂ€sident des Reichsgerichts nahm Simons gemÀà Art. 51 der Weimarer Verfassung i. V. m. § 1 Gesetz ĂŒber die Stellvertretung des ReichsprĂ€sidenten v. 10. MĂ€rz 1925[8] stellvertretend die Aufgaben des ReichsprĂ€sidenten wahr. Am 12. Mai 1925 wurde Paul von Hindenburg als neuer ReichsprĂ€sident vereidigt. Im Vorfeld der ReichsprĂ€sidentenwahl 1925 war Simons mehrfach als Kandidat im GesprĂ€ch; die Ăberlegungen unterschiedlicher Parteienkonstellationen kamen aber zu keinem konkreten Ergebnis.
Im November 1926 hielt Simons einen vielbeachteten Vortrag ĂŒber die âVertrauenskrise der deutschen Justizâ. Darin drehte er die VorwĂŒrfe von SPD und DDP gegen einseitig rechtsgerichtete Urteile der Weimarer Justiz um und sprach ĂŒber eine âKrise des Vertrauens der Justiz zum deutschen Staatâ, ausgelöst durch eine Demokraten bevorzugende Personalpolitik. Er griff speziell den von Hugo Sinzheimer, Robert Kempner, Fritz Bauer und Ernst Fraenkel gegrĂŒndeten Republikanischen Richterbund an: Sozialdemokraten könnten, so Simons, aufgrund âinnerer Hemmnisseâ niemals Richter sein, da sie weniger dem Recht als dem Klassenkampf verpflichtet seien. Justizminister Gustav Radbruch (SPD) entgegnete ihm in der sich anschlieĂenden Kontroverse, der Klassenkampf von oben sei schĂ€dlicher als der sozialdemokratische Klassenkampf von unten, weil er unbewusst verlaufe und damit der Selbstkontrolle und Selbstkritik entzogen sei.[9]
Sein Amt am Reichsgericht legte er 1929 aus Protest gegen eine seiner Ansicht nach verfassungswidrige Einmischung der Reichsregierung in ein schwebendes Verfahren nieder. Ab 1929 war Simons Professor fĂŒr Völkerrecht in Leipzig.
Simons engagierte sich im Deutsch-Französischen Studienkomitee, das eine VerstĂ€ndigung zwischen zumeist konservativen WirtschaftsfĂŒhrern und Politikern anzubahnen versuchte.[10] AuĂerdem war er Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und von 1925 bis 1935 PrĂ€sident des Evangelisch-Sozialen Kongresses. Simons vertrat die lutherische Konfession auch international öffentlich auf der Stockholmer Konferenz 1925. Im Januar 1932 engagierte sich Simons mit mehreren Adligen, Industriellen und Vertretern der politischen Rechten wie Detlof von Winterfeldt, Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe, Carl Duisberg, Kuno Graf Westarp und Georg Escherich fĂŒr eine erneute Kandidatur Hindenburgs zum Amt des ReichsprĂ€sidenten.[11]
Simons bildete gemeinsam mit Hans von Seeckt und Wilhelm Solf den Vorstand des SeSiSo-Clubs, der im Berliner Hotel Kaiserhof kulturelle Veranstaltungen fĂŒr das liberale BildungsbĂŒrgertum veranstaltete, hĂ€ufig gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft 1914, deren Vorsitzender Wilhelm Solf war. So ein Treffen fand auch zum Zeitpunkt der MachtĂŒbergabe an Hitler statt, als Harry Graf Kessler im Hotel Kaiserhof den Clubmitgliedern einen Vortrag hielt. Die ehemaligen Angehörigen des SeSiSo-Clubs bildeten spĂ€ter zu weiten Teilen die Widerstandsgruppe Solf-Kreis.[12] In seinen Veröffentlichungen zu Themen des Völkerrechts unterstĂŒtzte Simons in der Zeit des Nationalsozialismus Hitlers AuĂenpolitik sowie die Positionen des faschistischen Italiens im Abessinienkrieg 1935 und der Falangisten im spanischen BĂŒrgerkrieg.[13]
Walter Simons war der Vater des Juristen Hans Simons und der RechtsanwĂ€ltin Tula Huber-Simons, Schwiegervater des Staatsrechtlers Ernst Rudolf Huber und GroĂvater des Theologen Wolfgang Huber. Sein Grab befindet sich auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Stahnsdorf.
Auszeichnungen und Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1930: Ehrenmitgliedschaft der Amerikanischen Gesellschaft fĂŒr internationales Recht
- 1931: Adlerschild des Deutschen Reiches
- 1993: Benennung des Platzes vor dem Amtsgericht Velbert (wo er 1893 erster Amtsrichter wurde) nach ihm
Simons ist der einzige Deutsche, den Nathan Söderblom in seiner Nobelpreisrede von 1930 als Förderer des Friedens in seiner Generation erwÀhnt.[14]
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christentum und Verbrechen, Leipzig 1925.
- Religion und Recht (Vorlesungen gehalten an der UniversitÀt Uppsala), Berlin-Tempelhof 1936.
- Kirchenvolk und Staatsvolk, Leipzig 1937 (= Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Band 100).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz, Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, MĂŒnchen 1988, S. 314 f.
- Horst GrĂŒnder: Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker. Schmidt, Neustadt an der Aisch 1975 (= Bergische Forschungen, Band 13).
- Ernst Rudolf Huber: Walter Simons 1861â1937. In: Wuppertaler Biographien. 9. Folge, Wuppertal 1970 (= BeitrĂ€ge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Band 17), S. 61â79.
- Martin Otto: Simons, Walter. In: Neue Deutsche Biographie. (NDB). Band 24. Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 441â443 (deutsche-biographie.de).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und ĂŒber Walter Simons im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel ĂŒber Walter Simons in den Historischen Pressearchiven der ZBW
- Walter Simons im Professorenkatalog der UniversitÀt Leipzig
- Genealogie FactGrid Item:Q17814
- Nachlass Bundesarchiv N 1504
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- â Album des Bonner Kreises. Als Handschrift gedruckt. 1854â1906. Bonn 1906, S. 41 (Nr. 256)
- â Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, MĂŒnchen 1988, S. 314 f.
- â Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, MĂŒnchen 1988, S. 315 f.
- â Hans Mommsen: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar 1918â1933. Ullstein, Berlin 1998, S. 119 f.
- â Peter KrĂŒger: Die AuĂenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 111.
- â Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917â1933. Siedler, Berlin 1994, S. 227 ff.; Peter KrĂŒger: Die AuĂenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 122â132.
- â Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Institut fĂŒr Zeitgeschichte MĂŒnchenâBerlin, MĂŒnchen 2016, Bd. 2, S. 1716 f.
- â RGBl. 1925 I, S. 17.
- â Daniel Siemens: Die âVertrauenskrise der Justizâ in der Weimarer Republik. In: Moritz Föllmer, RĂŒdiger Graf (Hrsg.): Die âKriseâ der Weimarer Republik, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2005, S. 154.
- â Gerhard Schulz: Von BrĂŒning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930â1933 (= Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik. Bd. 3). Walter de Gruyter, Berlin, New York 1992, S. 907.
- â Gerhard Schulz: Von BrĂŒning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930â1933 (= Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik. Bd. 3). Walter de Gruyter, Berlin, New York 1992, S. 725 f.
- â Eberhard von Vietsch: Wilhelm Solf â Botschafter zwischen den Zeiten. Wunderlich Verlag, TĂŒbingen 1961.
- â Martin Otto: Simons, Walter. In: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), abgerufen am 12. Juli 2017.
- â Webseite des Nobelpreiskomitees.
| VorgÀnger | Amt | Nachfolger |
|---|---|---|
| Julius Smend | PrĂ€sident der Neuen Bachgesellschaft 1930â1936 | Erwin Bumke |
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Simons, Walter |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Jurist und Politiker |
| GEBURTSDATUM | 24. September 1861 |
| GEBURTSORT | Elberfeld (heute: Wuppertal-Elberfeld) |
| STERBEDATUM | 14. Juli 1937 |
| STERBEORT | Nowawes, Babelsberg (heute: Potsdam) |
- AuĂenminister (Deutschland)
- Reichsminister (Weimarer Republik)
- Richter (Reichsgericht)
- Ministerialdirektor (Weimarer Republik)
- Hochschullehrer (UniversitÀt Leipzig)
- Lutheraner
- Politiker (Wuppertal)
- Ehrenmitglied der Amerikanischen Gesellschaft fĂŒr internationales Recht
- Deutscher
- Geboren 1861
- Gestorben 1937
- Mann
- IndustrieverbandsfunktionÀr
