Die Vereinigung Heimatvertriebener Deutscher Studenten (VHDS) war eine Interessengemeinschaft heimatvertriebener Studenten nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie bestand von 1950 bis 1964.
Tätigkeitsbereiche
Sozialarbeit am Hochschulort
Mit der Währungsreform 1948 verschlechterte sich die soziale Lage der vertriebenen Studenten. Im Hinblick auf eine zu erwartende „Soforthilfe“-Regelung schlossen sich im Wintersemester 1948/49 mit Unterstützung der Allgemeinen Studentenausschüsse (AstA) die vertriebenen Studenten an den Universitäten und Hochschulen der westlichen Besatzungszonen zu Interessengemeinschaften zusammen. An den AstA wurden Flüchtlingsreferate eingerichtet und mit den gewählten Obmännern der Flüchtlingsstudenten besetzt.[1] Diese Zusammenschlüsse wurden neben den landsmannschaftlichen Studentengemeinschaften zu einer der beiden Keimzellen der VHDS.
Im Zusammenwirken mit dem Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) wurden dem Hauptamt für Soforthilfe und späteren Bundesausgleichsamt und den mit der Materie befassten Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die sich aus der sozialen Situation ergebenden Forderungen der vertriebenen Studenten auf Studienförderung mit Erfolg vorgetragen. Zweckentsprechende Regelungen erfolgten nach dem Gesetz zur Milderung sozialer Notstände (Soforthilfegesetz) vom 8. August 1949 (WiGBl, S. 205) durch das Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952 (BGBl I, S. 446).
Für die aus der DDR geflüchteten Studenten wurde beim VDS eine „Flüchtlingsberatungsstelle“ eingerichtet und mit Theo Tupetz besetzt. Später war Tupetz beim Deutschen Bundesstudentenring Leiter des Sozialamtes und bei der Otto-Benecke-Stiftung Geschäftsführer. Insbesondere seinen Bemühungen ist zu danken, dass es von einer unzureichenden Flüchtlingshilfe zu einer allgemeinen Studienförderung nach dem sogenannten Honnefer Modell kam.[2]
Im VHDS war Theo Tupetz von Dezember 1952 bis März 1954 Geschäftsführer und nachfolgend bis Juni 1957 Vorsitzender.
Kultur-, Heimat- und Ostpolitik
Neben der skizzierten Sozialarbeit kam es wegen einer selbstverständlichen Beschäftigung mit kulturellen sowie heimat- und ostpolitischen Fragen zu meist landsmannschaftlichen Gruppenbildungen an den Universitäten und Hochschulen. Bei Gesprächen von Studenten dieser Gruppen mit heimatvertriebenen Jungakademikern und Wissenschaftlern im Januar 1950 in Markgröningen/Wttbg. erkannte man die Notwendigkeit, vor Ort aktive Minderheiten zu bilden, die aus innerer Verpflichtung für die Gesamtheit der Heimatvertriebenen eintreten. Zwecks Schaffung eines organisatorischen Rahmens fand auf Einladung des Deutsch-Baltischen Jugend- und Studentenringes vom 9. bis 12. Oktober 1950 in der Hessischen Landvolkshochschule Neustadt bei Marburg/Lahn (Gastgeber: Wilfried Schlau) ein ostdeutsches Studententreffen statt. Die 50 Teilnehmer beschlossen die Gründung der VHDS.
Werdegang der VHDS
Die VHDS wurde als „Vereinigung Heimatvertriebener Deutscher Studenten“ mit der Rechtsform eines e.V. und Sitz in Marburg an der Lahn gegründet.
Betont wurde ausdrücklich, dass die neue Vereinigung die bestehende Eintracht und das kollegiale Zusammenleben von Einheimischen und Heimatvertriebenen an den Universitäten und Hochschulen nicht stören soll.
Die Vereinsgründung erfolgte
- zur Wahrung des ostdeutschen Kulturerbes,
- zwecks Heranbildung von Führungskräften zur Interessenvertretung,
- in dem Bestreben, auf Hochschulebene im In- und Ausland das Vertriebenenproblem bekannt zu machen und durchzusetzen, dass die Anliegen der Millionen deutschen Heimatvertriebenen als gesamtdeutsche und -europäische Anliegen erkannt werden.
Letzterem Zweck dienten in der Aufbauphase 1951/52 die nachfolgend von dem Geschäftsführer Walter Fr. Schleser dargelegten Aktivitäten der Geschäftsführung:
- die Organisation von Reisen deutscher Professoren zu Vorträgen an deutschen Universitäten und Hochschulen,
- die breite Streuung eines vierseitigen Flugblattes „Deutsche Heimat im Osten“[3]
- eine Diskussion im Hessischen Rundfunk am 25. Juli 1951,
- im September 1951 die Durchführung einer Tagung an der tschechischen Grenze in Furth im Wald mit 60 Studentenvertretern und Redakteuren von Studentenzeitschriften aus 13 Ländern. Hauptredner: Staatssekretär Ottomar Schreiber vom Bundesministerium für Vertriebene.
- die Teilnahme an der Weltkonferenz für Moralische Wiederaufrüstung in Caux sur Montreux Ende September 1951 mit dem Ehrengast Tadeusz Komorowski (General Bór-Komorowski), den polnischen Befehlshaber des Warschauer Aufstandes 1944, nachfolgend
- ein Gespräch mit dem stellv. Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) im Genfer Völkerbundpalast über Probleme der Vertriebenen und Flüchtlinge in Österreich, die (im Gegensatz zu den Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland) auch seiner Obhut unterstanden,
- die Teilnahme an einer Konferenz von Exilpolitikern in London im Januar 1952. Bei dieser Gelegenheit konnte das VHDS-Vorstandsmitglied Schleser mit Politikern sprechen, die für Vertreibungsmaßnahmen verantwortlich waren: so mit dem polnischen Ministerpräsidenten Stanisław Mikołajczyk und den ehemaligen tschechischen Ministern Ripka und Jaroslav Stránský. Stransky, Justizminister 1945, wurde von Schleser das „Sudetendeutsche Weißbuch“ über die ethnischen Säuberungen in der CSR im Jahr 1945 und die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“[4] vom 5. August 1950 überreicht. Außerdem wurde ein Offener Brief an die Leitung der Konferenz mitunterzeichnet, in dem sich die Verfasser u. a. dagegen aussprachen, dass Menschen an einer Konferenz teilnehmen, die wegen Menschenrechtsverletzungen vor ein Tribunal gehörten.[5] Prof. Stransky[6] nahm später die Einladung von Schleser zu einem offenen „Akademischen Gespräch“ mit einigen sudetendeutschen Studenten, Politikern und Journalisten am 23. Juli 1952 um 17 Uhr im „Hotel am Zoo“ in Frankfurt/Main an. Der terminierte Aufenthalt erfolgte auf der Durchreise Stranskys von einem Besuchsaufenthalt in München zum Internationalen Juristenkongress in Berlin, vor dem er einen Vortrag halten sollte. Hinsichtlich des nicht publiken „Akademischen Gesprächs“ in Frankfurt sprach sich der Hessische Innenminister Heinrich Zinnkann nicht für eine zur Diskussion gestellte Verhaftung von Stransky aus; er erließ allerdings gegen den tschechoslowakischen Justizminister des Jahres 1945 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein Redeverbot. Interveniert hatte – laut Ost-West-Kurier – der sudetendeutsche Parteifreund MdB Richard Reitzner. Das Redeverbot wurde am 23. Juli um 17 Uhr im Hotel von Kriminalbeamten verkündet.[7]
- im Juni 1952 in Vertretung aller deutschen Vertriebenenverbände Teilnahme an der Ehrenpromotion des in den USA wirkenden Pfarrers und „Vaters der Heimatvertriebenen“ Emmanuel Reichenberger in Graz. Festakt und Kundgebung wurden vom amerikanisch kontrollierten Radio Rot-Weiß-Rot übertragen.
Die Vereinigung entwickelte sich auch wegen der skizzierten sozialpolitischen Aktivitäten rasch zu einem großen deutschen Studentenbund mit rund 6.000 Mitgliedern (bei 15.084 vertriebenen Studenten an westdeutschen wissenschaftlichen Hochschulen im Wintersemester 1952/53). Ihr gehörten 12 landsmannschaftliche Bünde sowie Hochschulgruppen an 34 Universitäten und Hochschulen an. In Österreich waren der Verband Katholischer Donauschwäbischer Hochschüler" sowie Studentengruppen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck Mitglieder. Ab 1954 konnten dem umbenannten „Verband Heimatvertriebener und Geflüchteter Deutscher Studenten e. V.“ (VHDS) auch Gruppen geflüchteter Studenten aus der DDR angehören. Mitglied wurde 1954 außerdem die „Arbeitsgemeinschaft der Exilstudentenverbände“ in Deutschland.
Am 6. Dezember 1952 war die VHDS schon so etabliert, dass ihr Vorsitzender Schleser neben Abgeordneten, hohen Beamten und Vertretern befreundeter Organisationen auch die Bundesminister für Vertriebene und für gesamtdeutsche Aufgaben, Hans Lukaschek und Jakob Kaiser, zu einem Empfang im Adam-Stegerwald-Haus in Königswinter am Rhein einladen konnte.
In politischer Hinsicht beschlossen die Delegierten der 5. VHDS-Hauptversammlung am 30. Juni 1957 unter Leitung des Ehrenvorsitzenden Walter Fr. Schleser in Königstein/Taunus eine „Königsteiner Resolution“ mit Vorschlägen auch zur Wiedervereinigung Deutschlands.[8]
Weiteres ist den unten benannten VHDS-Schriften Das Freie Forum (1955) und Jenseits von Elbe und Oder – 10 Jahre VHDS (1960) zu entnehmen.
Der Studentenverein VHDS wurde 1964 vom Ostpolitischen Deutschen Studentenverband (ODS) abgelöst, dieser ging 1984 im 1985 vom Bundesinnenministerium als rechtsextremistisch eingestuften Gesamtdeutschen Studentenverband (GDS) auf.[9][10]
Siehe auch
Literatur
- Walter Fr. Schleser: Deutsche Heimat im Osten (vierseitiges Flugblatt mit einer Karte der ehem. deutschen Ostgebiete und ehem. deutschen Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa sowie einem dreiseitigen Artikel Aufgabe und Sinn der VHDS); Druck: Marburger Presse, Marburg/Lahn Jan. 1951, DNB 1007247223
- Das Freie Forum. Organ für deutsche Studenten, hrsg. für den VHDS von Walter Fr. Schleser, Theo Tupetz und J.A. Stupp, Bonn 1955, DNB 1010166573. Mit einem Artikel von Walter Fr. Schleser Ich Herr – Du Herr. Gedanken zu einem Gespräch zwischen Deutschen und Tschechen, in tschechischer Sprache erschienen am 15. Mai 1954 in der exiltschechischen Zeitung Bohemia in München: , Siehe auch https://web.archive.org/web/20190209173145/http://members.aon.at/boelten/
- Festschrift Jenseits von Elbe und Oder – 10 Jahre VHDS, Druckerei L. Müller, Erlangen 1960, 111 Seiten. Hrsg. für den VHDS von J.A.Stupp unter Mitwirkung von Erhard W. Appelius, Fritjof Berg und Walter Fr. Schleser. DNB 1007247614. Die Festschrift enthält u. a. Betrachtungen von Fritjof Berg und H.G. Parplies, Artikel über 12 landsmannschaftliche Mitgliedsverbände (S. 85–104) und 13 Heimatgebiete (S. 38–69), eine DDR-Chronik in Stichworten (S. 70–75) sowie Namenslisten der Mandatare in den VHDS-Organen (S. 108–109).
- Günther Reichert: Das Organisationswesen der deutschen Heimatvertriebenen. In: 50 Jahre Bund der Vertriebenen, BdV-Kreisverband Zweibrücken 2000, publiziert online ( vom 4. März 2016 im Internet Archive).
- Uwe Rohwedder: Kalter Krieg und Hochschulreform. Der Verband Deutscher Studentenschaften in der frühen Bundesrepublik (1949-1969), Essen 2012, ISBN 978-3-8375-0748-5.
- Marianne Krüger-Potratz (Hrsg.): Integration stiften! 50 Jahre OBS – Engagement für Qualifikation und Partizipation. V&R unipress GmbH, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8471-0397-4. In dieser Festschrift zum 50-jährigen Bestandsjubiläum der OBS wird im Aufsatz Von der Hilfe für Flüchtlinge zur Förderung der Teilhabegesellschaft – Geschichte der Otto Benecke Stiftung von Hans-H. Reich und Uwe Rohwedder auf den Seiten 11–18 auch die Sozialarbeit des VDS und des Bundesstudentenringes vor Gründung der Otto Benecke-Stiftung e.V. gewürdigt.
Einzelnachweise
- ↑ Die größte Interessengemeinschaft mit rd. 600 Mitgliedern bestand an der TH Aachen. Obmann und VHDS-Vertrauensstudent war dort Robert Simons, ein (West-)Vertriebener aus Eupen-Malmedy.
- ↑ Nach Theo Tupetz: Die Flüchtlingsstudenten an den Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik und Westberlins und ihre Eingliederung in das Hochschulleben. In: Jenseits von Elbe und Oder – 10 Jahre VHDS, S. 25–32.
- ↑ Walter Fr. Schleser (Hrsg.): Deutsche Heimat im Osten!, VHDS, Marburg 1951, DNB 1007247223
- ↑ Bund der Vertriebenen: Charta auf Deutsch In: bund-der-vertriebenen.de, abgerufen am 22. Januar 2020.
- ↑ Näheres im „Wegweiser für Heimatvertriebene“, Frankfurt/Main 1. Februar 1952, S. 1 u. 2. Zu den Enteignungs- und Vertreibungsmaßnahmen wird verwiesen auf : die Bierut-Dekrete hins.der Deutschen in den ehem. Oder/Neiße-Gebieten, die Benesch-Dekrete hins.der Sudetendeutschen und die AVNOJ-Beschlüsse hins. der Jugoslawiendeutschen
- ↑ Siehe Jaroslav Stránský
- ↑ Näheres kann der Vertriebenenpresse nach dem 23. Juli 1952 sowie dem Leitartikel „Die Großen läßt man laufen“ von H. C. Franz auf den Seiten 1 und 2 der PNP (Passauer Neue Presse) Nr. 89/1952 vom 28. Juli 1952 entnommen werden. (online)
- ↑ Nach Walter Fr. Schleser: Der Verband Heimatvertriebener und Geflüchteter Deutscher Studenten e.V., in: Jenseits von Elbe und Oder – 10 Jahre VHDS, S. 76–83 und 107
- ↑ Ratten der Lüfte Der Spiegel 14. August 1989
- ↑ Deutscher Bundestag: Drucksache 13/1518 vom 30. Mai 1995