Schienenverkehr in Europa ist durch die Vielfalt der technischen Standards, Betriebskonzepte und Infrastrukturen gekennzeichnet. Gemeinsame Merkmale sind der verbreitete Einsatz von Normalspurbahnen, eine hohe Sicherheit im Betrieb und ein hoher Anteil an Elektrifizierung. Elektrifizierte Schienennetze arbeiten mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bahnstromsysteme und die Signalsysteme sowie die Zugbeeinflussungssysteme unterscheiden sich von Land zu Land, was den grenzüberschreitenden Verkehr erschwert.
Schienenverkehrspolitik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ziel der Europäischen Union ist es, den Wettbewerb in den nationalen Eisenbahnnetze zu sichern und für die Dienstleistungsfreiheit zu sorgen. Dafür werden die nationalen Vorschriften zur Technik, Verwaltung und Sicherheit harmonisiert, sowie Maßnahmen zur Sicherstellung der Interoperabilität im Schienenverkehr ergriffen. Dies erleichtert den grenzüberschreitenden Betrieb.
Ein Beitrag der EU zur Umsetzung und Entwicklung des Binnenmarktes und zur Verbesserung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes der Union sind die Transeuropäische Netze.
Mit der Einheitlichen europäischen Eisenbahnrichtlinie 2012 hatten die EU-Mitgliedstaaten die rechtliche Möglichkeit, die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen und den Betrieb der Infrastruktur zu trennen. In der Regel wurden die nationalen Eisenbahnunternehmen in getrennte Abteilungen oder unabhängige Unternehmen für Infrastruktur, Personen- und Güterverkehr aufgeteilt. Der Personenverkehr kann weiter in Fern- und Regionalverkehr unterteilt werden, da der Regionalverkehr häufig im Rahmen von Gemeinwohlverpflichtungen betrieben wird (mit denen Dienste aufrechterhalten werden, die für private Unternehmen wirtschaftlich uninteressant sind, aber dennoch einen gesellschaftlichen Nutzen bringen), während der Fernverkehr in der Regel ohne Subventionen betrieben wird.
Bahnnetz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Streckennetz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 2022 betrug die Streckenlänge aller Eisenbahninfrastrukturunternehmen in der EU 202 131 km, davon sind 40,5 % mehrgleisig. Die Netzdichte in den EU-Ländern variiert zwischen 123,3 m/km² in der Tschechischen Republik und 15,3 m/km² in Griechenland. In den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) weist die Schweiz mit 133,8 m/km² eine noch höhere und Norwegen mit 10,7 m/km² eine noch geringere Netzdichte auf.[1]
Der überwiegende Teil der europäischen Eisenbahnstrecken hat eine Spurweite von 1435 mm. 1,8 % der Strecken in der EU haben eine Spurweite von weniger als 1435 mm, sogenannte Schmalspurbahnen. Einige europäische Länder betreiben Streckennetze mit einer Spurweiten von mehr als 1435 mm, sogenannte Breitspurbahnen. Die Netze der baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland haben eine Spurweite von 1520 mm, Finnland verwendet eine Spurweite von 1524 mm. Da der Unterschied zwischen den Netzen mit 1520 mm und 1524 mm innerhalb der Toleranzgrenzen liegt, ist ein Übergang von Fahrzeugen ohne Austausch der Radsätze möglich. In Irland wird eine Spurweite von 1602 mm („irische Spurweite“) verwendet. Portugal und Spanien verwenden auf den Hauptstrecken ihrer Netze eine Spurweite von 1668 mm („iberische Spurweite“).[1]
Im Jahr 2022 gab es in der EU 94 050 Bahnübergänge, was einem Durchschnitt von 46,5 Bahnübergängen je 100 km Bahnstrecke entspricht (EU- und EFTA-Staaten). Die höchste Bahnübergangsdichte in der EU weist die Tschechische Republik mit 83,7 Bahnübergängen je 100 km auf, in den EFTA-Staaten Norwegen mit 86,5 Bahnübergängen je 100 km. Davon sind 38 413 Bahnübergänge technisch nicht gesichert.[1]
Elektrifizierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 2022 waren 56,9 % der Strecken in der EU elektrifiziert. Mit 96,7 % ist das luxemburgische Streckennetz fast vollständig elektrifiziert, während in Irland nur 2,6 % des Streckennetzes elektrifiziert ist. Die Schweiz hat mit 99,8 % den höchsten Anteil an elektrifizierter Strecken in Europa. Unter den Kandidatenländern und dem potenziellen Kandidatenländern der EU weisen Georgien (98,4 %) und Montenegro (90,5 %) den höchsten Elektrifizierungsgrad auf, während Albanien, Moldawien und der Kosovo über keine elektrifizierten Eisenbahnstrecken verfügen.[1]
Personenverkehr
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bedeutung des Schienenpersonenverkehrs in Europa ist sehr unterschiedlich. Während insbesondere in dicht besiedelten Ballungsräumen der Schienenpersonennahverkehr eine wichtige Rolle im öffentlichen Personennahverkehr einnimmt, hat der grenzüberschreitende Schienenpersonenfernverkehr bisher nur einen geringen Anteil. Im Jahr 2021 wurden im Schienenverkehr in der EU 5,2 Milliarden Fahrgäste mit nationalen Fahrten befördert und dabei insgesamt 250 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Darüber hinaus wurden 10 Milliarden Kilometer im grenzüberschreitenden Verkehr zurückgelegt. Bezogen auf die Bevölkerungszahl, waren dies durchschnittlich 560 Kilometer pro Einwohner im Inlandsverkehr und 23 Kilometer pro Einwohner im grenzüberschreitenden Verkehr.[3]
Die am meist genutzten grenzüberschreitenden Fernverkehrsverbindungen sind:[4]
- Frankreich– Vereinigtes Königreich
- Schweden– Dänemark
- Belgien– Frankreich
- Luxemburg– Frankreich
- Belgien– Vereinigtes Königreich
Güterverkehr
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Insgesamt wird nur etwa 18 % des europäischen Güterverkehrs auf der Schiene abgewickelt. In einigen Ländern, wie z. B. Großbritannien, Frankreich oder Spanien ist der Prozentsatz wesentlich geringer; in anderen Ländern, wie z. B. Litauen, wo über 70 % des inländischen Güterverkehrs auf der Schiene abgewickelt werden, ist er jedoch deutlich höher.[5] Die relative Schwäche des Schienengüterverkehrs ist auf den niedrigeren Preis des Lkw-Transports zurückzuführen, der einen größeren Teil der Kosten externalisiert als der Schienenverkehr,[6][7][8] sowie die starke Nutzung der Küsten- und Binnenschifffahrt. Deshalb wurde auch in verschiedenen Ländern der Einzelwagenverkehr bereits vollständig eingestellt. Zum Vergleich: In den USA wurden im Jahr 2000 38 % der Güter (nach Tonnenkilometern) auf der Schiene befördert, was in erster Linie auf externe Faktoren wie die geografische Lage zurückzuführen ist.[9] Ebenso befördern die Schweizer Bahnen rund 40 % (nach Tonnenkilometern) des inländischen Güterverkehrs.[10] und sogar mehr als 70 % des (meist internationalen) alpenquerenden Güterverkehrs – 74,4 % in der ersten Hälfte des Jahres 2021.[11][12] Die Neue Eisenbahn-Alpentransversale mit dem Gotthard-Basistunnel, einem der längsten Tunnel der Welt, wurde speziell zur Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene gebaut.[13][14]
Die Länge der Züge wird in Europa durch die Größe der Ausweichstellen und Schutzgleise sowie durch die Anordnung der Signale begrenzt.[15][16] Es gibt Pläne um Züge mit einer Länge von bis zu 740–750 Metern auf den Hauptgüterverkehrsstrecken fahren zu lassen, indem die dafür erforderliche Infrastruktur ausgebaut wird, siehe auch 740-Meter-Netz.[17][18] Verschiedene Bauprojekte mit entsprechendem Ziel sind bereits abgeschlossen worden.[19][20]
Der Russische Überfall auf die Ukraine 2022 führte zu einer Beschleunigung des PESCO-Projekts Military Mobility, das schnellere Truppenverlegungen mit bis zu 740 Meter langen Güterzügen in die östlichen Länder der NATO ermöglicht und damit zum Aufbau eines „Military Schengen“ beiträgt.[21]
Unterschiede zwischen den Ländern
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Europäische Eisenbahn-Leistungsindex
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Europäische Eisenbahn-Leistungsindex 2017 stuft die Leistung der nationalen Eisenbahnsysteme wie folgt ein:[22]
- Stufe: Schweiz, Dänemark, Finnland, Deutschland, Österreich, Schweden und Frankreich.
- Stufe: Großbritannien, die Niederlande, Luxemburg, Spanien, die Tschechische Republik, Norwegen, Belgien und Italien.
- Stufe: Litauen, Slowenien, Irland, Ungarn, Lettland, Slowakei, Polen, Portugal, Rumänien und Bulgarien.
Technische Hindernisse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Verschiedene technische Hindernisse, wie z. B. unterschiedliche Lichtraumprofile, unterschiedliche Bahnstromsysteme, unterschiedliche Zugbeeinflussungssysteme oder unterschiedliche Bahnsteighöhen erschweren den grenzüberschreitenden Betrieb in Europa.
Investitionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Investitionen der einzelnen europäischen Ländern in die Schieneninfrastruktur unterscheiden sich stark.
Land | 2022[23] |
---|---|
Luxemburg | 575 |
Schweiz | 450 |
Norwegen | 346 |
Österreich | 319 |
Schweden | 245 |
Vereinigtes Königreich | 187 |
Tschechien | 171 |
Niederlande | 143 |
Dänemark | 135 |
Belgien | 126 |
Italien | 115 |
Deutschland | 114 |
Spanien | 67 |
Frankreich | 46 |
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Council Directive 91/440/EEC of 29 July 1991 on the development of the Community's railways
- Kurzdarstellung Schienenverkehr in der EU durch das Europäische Parlament
- Council Directive 96/48/EC of 23 July 1996 on the interoperability of the trans-European high-speed rail system
- Maps of railway networks in Europe
- Level of service on passenger railway connections between European metropolises | Report of the Transport and Spatial Planning Institute. Ehemals im ; abgerufen am 10. Oktober 2023. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) (nicht mehr online verfügbar)
- Eurail map
- Interrail map
- Organization that advises and supplies Eurail or Interrail travelers with information, travel routes and passes. Ehemals im ; abgerufen am 10. Oktober 2023. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) (nicht mehr online verfügbar)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d Characteristics of the railway network in Europe. Eurostat, März 2024, abgerufen am 3. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Passenger transport. OECD, abgerufen am 9. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ Key figures on European transport - 2022 edition. Eurostat, 2022, abgerufen am 3. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Regine Gerike: Das Marktsegment des grenzüberschreitenden Schienenpersonen(fern)verkehrs in Europa. Forschungs-Informations-System für Mobilität und Verkehr, 20. Januar 2024, abgerufen am 2. Juni 2024.
- ↑ Freight transport statistics - modal split. (englisch).
- ↑ External Costs of Transport. (PDF) In: European Environment Agency. 20. August 2001, abgerufen am 10. September 2023.
- ↑ 30 by 2030 Rail Freight strategy to boost modal shift.
- ↑ Antoine Boudet, Lionel Steinmann: L'Etat une énième fois au chevet du fret ferroviaire In: Les Echos (France), 27. Juli 2020. Abgerufen am 13. April 2021 (französisch). „C'est, d'ailleurs, partant du constat que la part de marché du fret ferroviaire en France n'a cessé de s'éroder au profit du transport routier de marchandises, pour tomber à 9 %, soit cinq fois moins qu'en 1974 et environ la moitié de la moyenne européenne“
- ↑ Francisco Manuel Bastos Andrade Furtado: U.S. and European Freight Railways: The Differences That Matter. In: Journal of the Transportation Research Forum. 52. Jahrgang, Nr. 2, 2013, S. 65–84 (trforum.org [PDF; abgerufen am 20. Juni 2023]).
- ↑ Deutschland bremst Eisenbahn-Güterverkehr durch Europa aus. 4. September 2020 .
- ↑ Güterverkehr in der Schweiz – Höchster Bahnanteil durch die Alpen seit 25 Jahren. 16. September 2021 .
- ↑ LOK Report - Schweiz: Güterverkehr durch die Alpen - Höchster Bahnanteil seit 25 Jahren.
- ↑ Verkehrsverlagerung.
- ↑ G. Saladin: NEAT ist der Schluessel der Schweizer Verlagerungspolitik. In: Internationales Verkehrswesen. 62. Jahrgang, Nr. 7/8, 2010 (trb.org).
- ↑ Maximale Zuglängen im europäischen Schienenverkehr.
- ↑ 740-Meter-Netz: Länderverkehrsminister für längere Güterzüge. 7. Oktober 2016 .
- ↑ Überblick: Wie der Güterzug länger werden kann. 30. August 2016 .
- ↑ Längere Züge bringen mehr Güter. 17. November 2016 .
- ↑ Sweden prepares TEN-T corridor for 750-meter train. 14. September 2017 .
- ↑ Italian railway Bologna-Prato to allow 750-meter length trains. 4. April 2018 .
- ↑ Christoph Jehle: Auf Schienen in den Krieg. Abgerufen am 20. August 2022.
- ↑ the 2017 European Railway Performance Index. Boston Consulting Group, 8. Januar 2021 .
- ↑ Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur in ausgewählten europäischen Ländern in den Jahren 2021 und 2022. Statista, Juli 2023, abgerufen am 2. Juni 2024.