![](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/a9/Solomon%27s_shamir.png/350px-Solomon%27s_shamir.png)
In der Mischna und Tosefta ist der Schamir (hebräisch שָׁמִיר šāmīr, für „ein Dorn“ oder kollektiv „Dornen“; in vielen Passagen der Bibel nur in Kombination mit Schajit auftauchend und mit Dornen und Disteln (Schamir und Schajit) übersetzt; assoziiert oder möglicherweise identisch mit samûr bzw. samur[1], eine Bezeichnung der Araber des Jordantals und Aramäer für Christusdorn (Fam. der Euphorbiaceae), auch verwandt mit samar[2] („emporstarren“) auch im Sinne von emporstarrenden Stacheln und Nägeln) eine nicht weiter charakterisierte Entität, die die Fähigkeit hatte, härtestes Material wie Gestein zu spalten. Die Geschichte vom Schamir ist eng mit der Erzählung vom „versperrten Nest“ verbunden. Gemäß der Folklore soll ein Vogel (oft als Specht oder Wiedehopf beschrieben) ein „Werkzeug“ benutzt haben, um seine Nester im Felsen zu bauen und um seine Jungen im Fall eines versperrten Nests zu befreien. Hellenistische und römische Quellen (die Kyraniden, Trebius Niger, Plinius der Ältere, Claudius Aelianus) und der Midrasch Levitikus Rabba identifizieren dieses „Werkzeug“ als Kraut (bzw. Pflanzensaft), wohingegen spätere Quellen von einem Wurm (bzw. Wurmblut) sprechen. Die Erzählung, dass Vögel mithilfe einer bestimmten Pflanze ihre versperrten Nester befreien, zirkuliert, seit mindestes hellenistischen Zeiten und war auf Lateinisch, Hebräisch, Griechisch und wahrscheinlich auch Arabisch verbrietet. In den Kyraniden heißt es, die vom Specht genutzte Pflanze habe die Fähigkeit gehabt, Lehm, Holz und Gestein aufzulösen.[3]
Gemäß der Bibel scheint der Schamir kein Lebewesen zu sein. Im Talmud wird nirgends angedeutet beim Schamir handle es sich um ein Lebewesen oder Mineral. Die Vorstellung vom Schamir als kleines Lebewesen oder Wurm kam im Mittelalter auf. Der Schamir soll nach den mittelalterlichen Legenden die Fähigkeit gehabt haben, beim „Erblicken“ oder beim „Gleiten über die Oberfläche“ Steine zu entzweien.[4]
Jakob Reifmann (Historiker der altjüdischen Literatur) erklärt 1861, dass es sich beim Schamir um eine Pflanze handle und beruft sich dabei auf Kohelet und den Midrasch Levitikus Rabba.[5]
Die Schamir-Sage ist eng mit der Sage von der Springwurzel verbunden.
Erwähnung in der Mischna
Die älteste rabbinische Quelle, die den Schamir erwähnt ist, die Mischna, die zweimal Bezug auf den Schamir nimmt. Es wird erwähnt, dass er nach der Zerstörung des zweiten Tempels aufhörte zu existieren. Die zweite Erwähnung zählt den Schamir zu den ersten zehn Dingen, die am Vorabend des ersten Sabbats geschaffen wurden. In beiden Erwähnungen wird der Schamir nicht weiter charakterisiert.[6]
Eigenschaften und Aufbewahrung
In einer Passage in der Tosefta, finden sich Informationen über Eigenschaften gegenüber hartem Material und Aufbewahrung des Schamir: er sei in Wolle gewickelt und in einer bleiernen Röhre voller Gerstenkleie aufbewahrt worden, da angenommen wurde er würde alles, was er „berührt“ zerbersten. Einige Rabbiner glaubten der Schamir wurde bei der Konstruktion des Salomonischen Tempels zum Steineschneiden verwende oder sei gar dazu notwendig. Andere schrieben ihm eine Rolle in der Fertigung der Brustplatten (Choschen) der Hohepriester zu. Etwa 500 n. Chr. finden sich dieselben Vorstellungen, die in der Mischna und in der Tosefta erwähnt werden im Babylonischen Talmud, in dem es heißt der Schamir sei so klein wie ein Gerstenkorn.[7]
Anwendung
Konstruktion des Jerusalemer Tempels
Bau des heiligen Tempels ohne Eisen
Nach jüdischer Folklore befahl Gott König Salomon, beim Bau des heiligen Tempels in Jerusalem kein Eisen zu verwenden, da Eisen ein Werkzeug des Krieges sei. Als König Salomon rätselte, wie der Tempel ohne Eisen zu errichten sei, gab der Prophet Nathan den Hinweis auf den Schamir, der Stein durchschneiden könne. Ein Albatros gibt der Legende nach, den Hinweis auf eine Vogelart beim nördlichen See, die ein Werkzeug verwendet, um ihre Nester im Felsen zu bauen – den Schamir. König Salomon soll den Anführer seiner Leibwache, Benaiah Jehoiada, damit beauftragt haben, den Schamir aufzuspüren und nach Jerusalem zu bringen.[8] Das hebräische Wort für den Vogel, welcher Salomon den Schamir bringt und welchem nachgesagt wird er könne Felsen spalten, wird von chaldäischen Übersetzern (sowie von Luther und anderen Hebraisten) mit „Nagar tura“ (Berghacker = Wiedehopf) übersetzt. Der Wiedehopf wurde auch als „Berghacker“ bezeichnet (analog zum „Baumhacker“ = Specht), da angenommen wurde er könne Gestein spalten.[9][10][11] In der Geschichte der Königin von Saba taucht der ebenso der Wiedehopf auf, als Bote Salomons.
Geschichte des „versperrten Nests“
In einer Passage des Babylonischen Talmud wird König Salomon im Verlauf der Konstruktion des Jerusalemer Tempels dazu angehalten den Schamir aufzusuchen, da dieser das einzige Werkzeug sei, mit dem auf Eisen beim Bau des Tempels verzichtet werden könne. Er sendete seinen Diener aus, um den Schamir zu finden. Die Teilnehmer der Expedition wussten, dass der Schamir einer Vogelart anvertraut worden war. Durch einen eine List gelangten sie an den Schamir: Sie versperrten dem Vogel den Zugang zu seinem Nest mit einem Stück Glas, sodass sie den Vogel zwangen auf den Schamir zurückzugreifen, um das Glas zu zerbersten und seine Jungen zu befreien. Durch die Anwesenheit der Männer erschrak der Vogel ließ den Schamir fallen und damit hatte Salomon sein Werkzeug zum Steineschneiden, um ohne Eisen den Jerusalemer Tempel zu errichten.[12] „Beim Bau des Hauses wurden Steine verwendet, die man schon im Steinbruch fertig behauen hatte; Hämmer, Meißel und sonstige eiserne Werkzeuge waren beim Bau des Hauses nicht zu hören.“ (1. Kö 6,7 EU).[13] Der Erzähler hinter Reinfried von Braunschweig bezeichnet den Schamir, der beim salomonischen Tempelbau verwendet worden sei, als krût (Kraut).[14] Anstelle der Erklärung der Bibel, dass man keinen Lärm durch Meißel, Hämmer etc. gehört habe weil die Steine schon im Steinbruch behauen worden seien, gibt der Text stattdessen an, dass die Ursache darin lag, dass die Steine des Tempels mit dem Kraut zusammengefügt worden waren.[15]
Die Geschichte vom „versperrten Nest“ zirkuliert seit mindestens Hellenistischen Zeiten. Plinius der Ältere gibt an, dass sich Spechte eines bestimmten Krauts bedienten, wenn ihr Nest versperrt war. Diese Aussage basiert auf einer noch älteren Erzählung von Trebius Niger. Claudius Aelianus erzählt in seinen De natura animalium eine ähnliche Geschichte, bei der ein Wiedehopf, um seine Jungen zu befreien, die vor dem Nest platzierte Barriere durch Anwendung eines Krauts auflöste. In einer anderen Passage beschreibt er ein ähnliches Verhalten beim Specht. Der Midrasch Levitikus Rabba berichtet davon, dass Rabbiner Simeon ben Halafta (2. Jahrhundert vor Christus) in seinem Garten das Nest eines Wiedehopfs verschloss, indem er es zunagelte. Der Wiedehopf habe ein Kraut hergebracht, um die Barriere aufzulösen. Ebenso berichtet Konrad von Megenberg, dass der „Bömheckel“ (Baumhacker, heute Specht) das versperrte Nest mit einem Kraut (Springwurzel, Baumhäckelkraut) freilegen konnte. Diese Geschichte stellen Jacob Grimm und Adalbert Kuhn mit dem Schamir in Verbindung.[16][17] Grimm nimmt an, es handle sich beim Kraut um Euphorbia lathyris (auch Spechtwurzel genannt), eine Pflanze der Familie der Euphorbiaceae.[18] Bei den Schweden wird der Weißwurz (auch „Salomonssiegel“ genannt, siehe Vielblütige Weißwurz#Mythologie) auch als „sprängört“ („Sprengkraut“) bezeichnet.[19]
Bau eines Altars ohne Eisen
Sabine Baring-Gould stellt die Errichtung eines Altars ohne Eisen mit dem Schamir in Verbindung: Am Berg Sinai, bei dem Moses die Gebote erhielt, wurde er von Gott gebeten ein Altar zu errichten unter der Voraussetzung, dass kein Eisen verwendet werde: „Wenn du mir einen Altar aus Steinen machst, so sollst du ihn nicht aus behauenen Quadern bauen. Du entweihst ihn, wenn du mit einem Meißel daran arbeitest.“ (Ex 20,25 EU) Eine ähnliche Aussage findet sich in Dtn 27,6 EU. Einen Altar ohne Eisen habe dann Josua errichtet: „[…] einen Altar aus unbehauenen Steinen, die kein eisernes Werkzeug berührt hatte.“ (Jos 8,31 EU). Die Mischna gibt den Grund an, warum auf Eisen verzichtet werden soll. Eisen werde benutzt um Leben zu verkürzen und der Altar um leben zu verlängern.[20]
Freilegen von Schätzen
Claudius Aelianus gibt bei seiner Geschichte des „versperrten Nests“ an, dass als der Mann von der sagenhaften Kraft des Krauts erfuhr er das Kraut aufsammelte, um fremde Schätze freizulegen. Rabbiner Simeon ben Halafta soll aus Sorge, Diebe könnten das Lernen was er gelernt habe und mit dem Kraut Schaden anrichten, das Wissen um das Kraut geheim gehalten haben.[21][22]
Nach der Encyclopaedia of Religion and Ethics gebe es in mittelalterlichen Sagen bestimmte Pflanzen, die Schlösser aufspringen lassen oder Steintüren in Bergen aufschwingen lassen können, um die dahinter verschlossenen Schätze freizulegen. Diese Eigenschaft wurde der Springwurzel und der Schlüsselblume zugeschrieben, die man von einem Specht bekam, dessen Nest verschlossen war und er somit auf das Kraut zurückgreifen musste. Dieses Kraut sei dann von Schatzsuchern verwendet worden und würde dem Schamir aus rabbinischen Legenden entsprechen. Auch existiert ein deutscher Volksglaube, dass dort wo ein Regenbogen die Erde berührt ein goldener Schlüssel vom Himmel fällt, mit dem Schätze freilegt werden können. Aus diesem lasse sich der Name „Schlüsselblume“ herleiten. Auch in Ali Baba und die vierzig Räuber werde mithilfe eines Krauts (Sesam) eine Steintür geöffnet („Sesam, öffne dich!“).[23] Rudolf Baumbach dichtet in Bezug auf die Sage von der Springwurzel, die laut dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens „deutliche Beziehungen“ zum Schamir aufweise:[24]
- Der Schwarzspecht ist ein Kräutermann,
- Kennt manches Zauberkraut im Tann,
- Das im Verborgnen sprießet.
- Er hält ob einer Wurzel Wacht,
- Die alle Schlösser springen macht
- Und jede Tür erschließet.
Smiris
Die Erzählung vom Schamir existiert ebenso in der klassischen Antike. Dort wird der Pflanze Steinbrech (Saxifraga von quia saxa frangit „weil sie die Felsen bricht“) nachgesagt, sie könne stärksten Stein auflösen. Auf dieselbe Pflanze nimmt Jesaja Bezug, der sie Smiris nennt. Die Bezeichnung Smiris übernahmen die alten Griechen für die stärkste bekannte Substanz, die zum Steine polieren verwendet wurde. Smiris spiegelt sich im deutschen Wort Schmirgel wider.[25]
Trivia
- Eine identische Erzählung findet sich in der Andenfolklore. Uralten Legenden zufolge verwendete dort ebenso eine Spechtart (Colaptes rupicola) ein lokales Kraut, um seine Nester im Felsen zu bauen. Die Inka hätten sich ebenso das Wissen um das Kraut zunutze gemacht, um Steine für ihre Tempel zu schneiden (Steinauflösungspflanze der Inkas (Folklore)).
Weblinks
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Presss, 2020.
- ↑ Peter Schegg: Biblische Archäologie. Herder, 1887, S. 272
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Presss, 2020.
- ↑ Marc Michael Epstin: Dreams of Subversion in Medieval Jewish Art and Literature. Pennsylvania State University Press, University Park [PA] 1997, S. 98.
- ↑ Moritz Steinschneider: Hebraeische Bibliographie; Blätter für neuere und ältere Literatur des Judenthums; Zugleich eine Ergänzung zu allen Organen des Buchhandels. Band 18. Berlin 1878, S. 59
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Press, 2020.
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Press, 2020.
- ↑ Sharon Barcan Elswit: The Jewish Story Finder: A Guide to 668 Tales Listing Subjects and Sources. 2nd ed. McFarland, 2012. S. 65: The Wonderful Shamir.
- ↑ Monika Amsler: The Babylonian Talmud and Late Antique Book Culture. Cambridge University Press, 2023. S. 21
- ↑ Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt: Denkschrift der Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt: herausgegeben am Seculartage ihrer Gründung den 19. Juli 1854. Villaret, 1854. S. 91 ff.
- ↑ Mark Podwal: A Jewish Bestiary: Fabulous Creatures from Hebraic Legend and Lore. Pennsylvania State University Press, 2021, S. 34
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Press, 2020.
- ↑ Sabine Baring-Gould: Curious myths of the Middle Ages., 1868, Band 2, S. 121
- ↑ Martin Przybilski: Kulturtransfer zwischen Juden und Christen in der deutschen Literatur des Mittelalters., De Gruyter, 2010, S. 237
- ↑ Wolfgang Achnitz: Sinnkonstituierung im »Reinfried von Braunschweig« und im »Apollonius von Tyrland« Heinrichs von Neustadt. Band. 98. Walter de Gruyter, 2011, S. 180
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Press, 2020.
- ↑ Jacob Grimm: Teutonic mythology. Band 2. 1883, S. 973
- ↑ Adalbert Kuhn: Die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks. Band 1. Bertelsmann, 1886, S. 216 ff.
- ↑ Hoffmann-Krayer, Eduard, Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 8: Silber–Speck. De Gruyter, 1936, S. 318. Stichwort: Springwurzel
- ↑ Sabine Baring-Gould: Curious myths of the Middle Ages., 1868, Band 2, S. 121
- ↑ Allegra Iafrate: The long life of magical objects: a study in the Solomonic tradition. Pennsylvania State University Press, 2020.
- ↑ Monika Amsler: The Babylonian Talmud and Late Antique Book Culture. Cambridge University Press, 2023. S. 21
- ↑ James Hastings: Encyclopaedia of Religion and Ethics, Bände 7-8. S. 125
- ↑ Hoffmann-Krayer, Eduard, Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 8: Silber–Speck. De Gruyter, 1936, S. 318 ff. Stichwort: Springwurzel
- ↑ Sabine Baring-Gould: Curious myths of the Middle Ages., 1868, Band 2, S. 140