Der Satz von der impliziten Funktion ist ein wichtiger Satz in der Analysis. Er beinhaltet ein relativ einfaches Kriterium, wann eine implizite Gleichung oder ein Gleichungssystem (lokal) eindeutig aufgelöst werden kann.
Der Satz gibt an, unter welcher Bedingung eine Gleichung oder ein Gleichungssystem implizit eine Funktion definiert, für die gilt. Eine derartige Funktion kann im Allgemeinen nur lokal in einer Umgebung einer Stelle gefunden werden. Unter strengeren Annahmen existiert jedoch auch eine globale Version des Satzes.[1]
Ist die Bedingung des Satzes erfüllt, kann die Ableitung als Funktion von und ohne Kenntnis der expliziten Funktion gewonnen werden; man nennt dies auch implizites Differenzieren.
Eine implizit definierte Funktion (kurz implizite Funktion) ist eine Funktion, die nicht durch eine explizite Zuordnungsvorschrift gegeben ist, sondern deren Funktionswerte implizit durch eine Gleichung definiert sind. Dabei ist eine vektorwertige Funktion, die genauso viele Einzelfunktionen enthält, wie Komponenten hat. Wird fixiert, so ergibt sich ein Gleichungssystem in mit genauso vielen Gleichungen wie Unbekannten. Der Satz über die implizite Funktion beschreibt Voraussetzungen, unter denen die folgende Aussage gilt:
Wenn eine Lösung für einen Parametervektor bekannt ist, dann kann auch für jeden Parametervektor aus einer hinreichend kleinen Umgebung von eine eindeutig bestimmte Lösung des Gleichungssystems gefunden werden, die in einer Umgebung der ursprünglichen Lösung liegt.
Diese Aussage ermöglicht es, eine Funktion zu definieren, die jedem Parametervektor gerade den Lösungsvektor zuordnet, sodass diese Funktion auf ihrem Definitionsbereich die Gleichung erfüllt. Der Satz von der impliziten Funktion stellt zudem sicher, dass diese Zuordnung unter gewissen Bedingungen und Einschränkungen an , und wohldefiniert ist – insbesondere, dass sie eindeutig ist.
Setzt man , so beschreibt die Gleichung den Einheitskreis in der Ebene. Der Einheitskreis kann nicht als Graph einer Funktion geschrieben werden, denn zu jedem aus dem offenen Intervall gibt es zwei Möglichkeiten für , nämlich .
Es ist jedoch möglich, Teile des Kreises als Funktionsgraph darzustellen. Den oberen Halbkreis bekommt man als Graph der Funktion
,
den unteren als Graph von
.
Der Satz von der impliziten Funktion gibt Kriterien für die Existenz von Funktionen wie oder . Er garantiert auch, dass diese Funktionen differenzierbar sind.
Erfüllt die Gleichung
und ist die zweite Teilmatrix im Punkt invertierbar, so existieren offene Umgebungen von und von
sowie eine eindeutige stetig differenzierbare Abbildung
Man wende nun diesen Satz auf das anfangs gegebene Beispiel der Kreisgleichung an: Dazu sind die partiellen Ableitungen nach den -Variablen zu betrachten. (In diesem Fall ist , daher ergibt das eine -Matrix, also einfach eine reelle Funktion):
Die partielle Ableitung der Funktion nach ergibt
. Der Kehrwert dieses Terms existiert genau dann, wenn ist.
Damit folgert man mit Hilfe des Satzes, dass diese Gleichung für lokal nach auflösbar ist.
Der Fall tritt nur an den Stellen oder auf. Dies sind also die Problempunkte. Tatsächlich sieht man, dass die Formel sich genau in diesen Problempunkten in eine positive und negative Lösung verzweigt. In allen anderen Punkten ist die Auflösung lokal eindeutig.
Der klassische Ansatz betrachtet zur Lösung der Gleichung das Anfangswertproblem der gewöhnlichen Differentialgleichung
.
Da in invertierbar ist, ist dies auch in einer kleinen Umgebung der Fall, d. h., für kleine Vektoren existiert die Differentialgleichung und ihre Lösung für alle . Die Lösung der impliziten Gleichung ist nun durch
gegeben, die oben angegebenen Eigenschaften dieser Lösung ergeben sich aus den Eigenschaften der Lösungen parameterabhängiger Differentialgleichungen.
Der moderne Ansatz formuliert das Gleichungssystem mit Hilfe des vereinfachten Newton-Verfahrens als Fixpunktproblem und wendet darauf den Fixpunktsatz von Banach an. Für die dazugehörige Fixpunktabbildung wird die Inverse der Teilmatrix der Jacobi-Matrix von im vorgegebenen Lösungspunkt gebildet. Zu der Abbildung
kann man nun zeigen, dass sie für Parametervektoren nahe auf einer Umgebung von kontraktiv ist. Dies folgt daraus, dass stetig differenzierbar ist und gilt.
Der Vorteil des Satzes ist, dass man die Funktion gar nicht explizit kennen muss, um eine Aussage über deren Existenz und Eindeutigkeit machen zu können. Oft ist die Gleichung auch gar nicht durch elementare Funktionen nach auflösbar, sondern nur mit numerischen Verfahren. Interessant ist, dass die Konvergenz solcher Verfahren meist gleiche oder ähnliche Voraussetzungen wie der Satz von der impliziten Funktion (die Invertierbarkeit der Matrix der -Ableitungen) erfordert.
Eine weitere wertvolle Schlussfolgerung des Satzes ist, dass die Funktion differenzierbar ist, falls es ist, was bei Anwendung des Satzes über implizite Funktionen vorausgesetzt wird. Die Ableitung kann sogar explizit angegeben werden, indem man die Gleichung nach der mehrdimensionalen Kettenregel ableitet:
,
und dann nach auflöst:
.
Eine ähnliche Folgerung gilt für höhere Ableitungen. Ersetzt man die Voraussetzung „ ist stetig differenzierbar“ durch „ ist -mal stetig differenzierbar“ (oder beliebig oft differenzierbar oder analytisch), kann man folgern, dass -mal differenzierbar (bzw. beliebig oft differenzierbar bzw. analytisch) ist.
Ein nützliches Korollar zum Satz von der impliziten Funktion ist der Satz von der Umkehrabbildung oder auch Umkehrsatz. Er gibt eine Antwort auf die Frage, ob man eine (lokale) Umkehrfunktion finden kann, und besagt Folgendes:
Sei offen und
eine stetig differenzierbare Abbildung. Sei und . Die Jacobi-Matrix sei invertierbar. Dann gibt es eine offene Umgebung von und eine offene Umgebung von , sodass die Menge bijektiv auf abbildet und die Umkehrfunktion
stetig differenzierbar ist, oder kurz: ist ein Diffeomorphismus. Es gilt:
Otto Forster: Analysis 2. Differentialrechnung im Rn, gewöhnliche Differentialgleichungen. 8. Auflage. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 3-7643-6133-6, S. 86–99 (S. 90 ff.).