Die Lie-Klammer ist ein Objekt aus der Mathematik, insbesondere aus dem Bereich der Algebra und der Differentialgeometrie. Die Lie-Klammer ist die multiplikative Verknüpfung in einer Lie-Algebra, also eine Art Multiplikation auf einer Menge mit einer besonderen algebraischen Struktur. Beispiele für eine solche Verknüpfung sind die triviale Lie-Klammer, der Matrix-Kommutator, das Kreuzprodukt oder die Poisson-Klammer. Benannt sind die Lie-Klammer und die Lie-Algebra nach dem Mathematiker Sophus Lie.
Sei
ein Vektorraum über dem Körper
. Eine innere Verknüpfung
![{\displaystyle [\cdot ,\cdot ]\colon V\times V\rightarrow V,\quad (x,y)\mapsto [x,y],}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ebd00d918d65f0ec5275b2ff91b043af86d27331)
heißt Lie-Klammer, falls sie die folgenden drei Eigenschaften besitzt:[1]
![{\displaystyle [ax+by,z]=a[x,z]+b[y,z]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/7654a168ee84d4b3231619ced5e529fa2eb17ac3)
- und
![{\displaystyle [z,ax+by]=a[z,x]+b[z,y]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/6e8fe7285a34bcfbd5e9412bc16bf857d443864a)
- für alle
und alle
.
- Es gilt
für alle
.
- Sie genügt der Jacobi-Identität, das heißt, es gilt
![{\displaystyle [x,[y,z]]+[y,[z,x]]+[z,[x,y]]=0}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/23655a62f2a7cc545f121d9bcc30fe2c56731457)
- für alle
.
Ein Vektorraum zusammen mit einer Lie-Klammer wird Lie-Algebra genannt.
Aus der ersten und der zweiten Eigenschaft der Definition folgt die Antisymmetrie der Lie-Klammer, das heißt
für alle
. Hat der Körper
nicht die Charakteristik
, so kann man aus der Antisymmetrie alleine wieder die Eigenschaft
herleiten. Dazu setzt man
.[1]
Lie-Klammern sind im Allgemeinen nicht assoziativ, das heißt der Term
muss nicht gleich dem Term
sein. Jedoch erfüllt die Lie-Klammer das Flexibilitätsgesetz, es gilt also
für alle Elemente
.
Ist
ein beliebiger Vektorraum und sind
und
zwei Elemente des Raums, dann kann durch
![{\displaystyle [a,b]:=0}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/272ed2a0111ff958b20234017e81e012f92c3a1c)
immer eine Lie-Klammer definiert werden. Vektorräume mit einer trivialen Lie-Klammer werden auch als abelsche Lie-Algebren bezeichnet.
Seien
,
und
drei
-Matrizen mit Einträgen in einem Körper
(zum Beispiel dem Körper
der reellen oder dem Körper
der komplexen Zahlen). Der Kommutator
für quadratische Matrizen ist definiert durch
,
wobei mit
die Matrixmultiplikation bezeichnet wird. Für
gelten für den Kommutator die Rechenregeln
![{\displaystyle {\begin{aligned}\left[\lambda A+\mu B,C\right]&=(\lambda A+\mu B)\cdot C-C\cdot (\lambda A+\mu B)\\&=\lambda (A\cdot C-C\cdot A)+\mu (B\cdot C-C\cdot B)\\&=\lambda [A,C]+\mu [B,C]\,,\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/5c976f26d283be6b3b38b10c32c6363e91b2cea4)
und
![{\displaystyle {\begin{aligned}\left[A,[B,C]\right]+\left[B,[C,A]\right]+\left[C,[A,B]\right]=&[A,B\cdot C-C\cdot B]+[B,C\cdot A-A\cdot C]+[C,A\cdot B-B\cdot A]\\=&A\cdot (B\cdot C-C\cdot B)-(B\cdot C-C\cdot B)\cdot A+B\cdot (C\cdot A-A\cdot C)\\&-(C\cdot A-A\cdot C)\cdot B+C\cdot (A\cdot B-B\cdot A)-(A\cdot B-B\cdot A)\cdot C\\=&0\,.\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9a57f0b3bbfa2f4893332ba0557ec9235c39062d)
Daher ist der Kommutator auf dem Raum der
-Matrizen eine Lie-Klammer.
Als konkretes Beispiel werden nun noch die Pauli-Matrizen

über dem Körper
der komplexen Zahlen betrachtet. Bildet man den Kommutator von
und
, so gilt
![{\displaystyle {\begin{aligned}\left[\sigma _{1},\sigma _{3}\right]&=\sigma _{1}\cdot \sigma _{3}-\sigma _{3}\cdot \sigma _{1}\\&={\begin{pmatrix}0&1\\1&0\end{pmatrix}}\cdot {\begin{pmatrix}1&0\\0&-1\end{pmatrix}}-{\begin{pmatrix}1&0\\0&-1\end{pmatrix}}\cdot {\begin{pmatrix}0&1\\1&0\end{pmatrix}}\\&={\begin{pmatrix}0&-1\\1&0\end{pmatrix}}-{\begin{pmatrix}0&1\\-1&0\end{pmatrix}}\\&=-2\mathrm {i} {\begin{pmatrix}0&-\mathrm {i} \\\mathrm {i} &0\end{pmatrix}}\\&=-2\mathrm {i} \,\sigma _{2}\,.\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/b534ecf532a87336709ac82b9b488647589df126)
Für
ist das Kreuzprodukt

eine Lie-Klammer. Im Vergleich zu den Beispielen zuvor wird diese Multiplikation normalerweise nicht mit Klammern notiert. Die Bilinearität und die Identität
können direkt an der Definition abgelesen werden. Um die Jacobi-Identität zu erkennen, muss der Term

komponentenweise ausgerechnet werden.
Seien
und
zwei Vektorfelder auf der
-dimensionalen glatten Mannigfaltigkeit
. Die Lie-Ableitung ist dann definiert durch
.
Dieser Operator
erfüllt die definierenden Eigenschaften einer Lie-Klammer. Daher schreibt man auch
.[2]
Seien
ein kommutativer Ring,
eine kommutative Algebra über
und
zwei Derivationen von
. Dann ist die durch
![{\displaystyle [\delta _{1},\delta _{2}]:=\delta _{1}\delta _{2}-\delta _{2}\delta _{1}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9c35e365bc0b7ead4288b450153964c408911d96)
definierte Operation eine Lie-Klammer auf dem Raum der Derivationen. Sie wird Jacobi-Klammer genannt. Da die Vektorfelder aus dem vorigen Beispiel spezielle Derivationen sind und ihre Lie-Klammer entsprechend definiert ist, ist diese Lie-Klammer ein konkretes Beispiel für eine Jacobi-Klammer.[3]
Die Poisson-Klammer
ist eine zweistellige Operation, die auf der Algebra der glatten Funktionen operiert. Sie erfüllt die definierenden Eigenschaften einer Lie-Klammer und darüber hinaus noch die Produktregel

für alle glatten Funktionen
,
und
. Oftmals werden Poisson-Klammern auf Funktionen angewandt, die von einer glatten Mannigfaltigkeit in die reellen Zahlen abbilden. Solche Mannigfaltigkeiten mit festgelegter Poisson-Klammer werden Poisson-Mannigfaltigkeiten genannt. Beispielsweise kann jede symplektische Mannigfaltigkeit auf natürliche Weise mit einer Poisson-Klammer versehen werden. In lokalen Koordinaten
hat die Poisson-Klammer die Darstellung
.
- ↑ a b James E. Humphreys: Introduction to Lie algebras and representation theory. Springer, New York 1997, ISBN 3-540-90053-5, S. 4.
- ↑ R. Abraham, Jerrold E. Marsden, T. Ratiu: Manifolds, tensor analysis, and applications (= Applied mathematical sciences 75). 2. Auflage. Springer, New York NY u. a. 1988, ISBN 0-387-96790-7, S. 278–279.
- ↑ Günter Scheja, Uwe Storch: Lehrbuch der Algebra [Elektronische Ressource]. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 1988, ISBN 978-3-322-80092-3, S. 105–106.