Der Harnleiter (lateinisch Ureter, Plural: Ureteren; von altgriechisch οὐρητήρ ureter[1]) ist ein paariger ableitender Harnweg. Er verbindet die gleichseitige Nieren bei Säugetieren mit der Harnblase, bei Amphibien, Reptilien und Vögeln mit der Kloake. Die beiden Harnleiter haben bei erwachsenen Menschen eine Länge von 25 bis 30 Zentimetern und einen Durchmesser von etwa 4 Millimetern. Sie zeigen einen dreischichtigen Aufbau mit einer von einem Urothel bedeckten Schleimhaut (Tunica mucosa), einer Muskelschicht aus glatter Muskulatur (Tunica muscularis) und einer äußeren Bindegewebshülle (Tunica adventitia). Durch eine von der Muskelschicht vermittelten Wanderwelle (Peristaltik) werden beim beim Erwachsenen etwa drei bis sechs Tropfen Urin pro Minute in die Harnblase befördert. Beim Embryo entstehen die Harnleiter bei Amnioten aus der Ureterknospe.
Zur Untersuchungen werden vor allem Kontrastmitteluntersuchungen (Urografie, CT-Urografie), Magnetresonanztomographie und Ureteroskopie eingesetzt.
Harnleiter des Menschen
Anatomie
Der Harnleiter beginnt am Nierenbecken in dem der von der Niere abfiltrierte und aufkonzentrierte Urin gesammelt wird. Dabei knickt der Harnleiter um etwa 90° ab. Er läuft dann als Bauchteil (Pars abdominalis) im Retroperitonealraum auf dem Musculus psoas major. Am Beckeneingang (der Linea terminalis) knickt der Harnleiter etwas um und verläuft als Beckenteil (Pars pelvica oder Pars pelvina) in der Wand des „kleinen Beckens“ die Harnblase. Er überkreuzt zunächst die Aufzweigung der Arteria iliaca communis und unterkreuzt beim Mann den gleichseitigen Samenleiter, bei der Frau die gleichseitige Arteria uterina.[2] Der Harnleiter hat bei Erwachsenen eine Länge von 25 bis 30 Zentimetern und einen Durchmesser von 2 bis 7 Millimetern,[3] im Regelfall zwischen 3 und 4 mm. Bei Neugeborenen ist er 6,5 bis 7 cm lang. Bauch- und Beckenteil sind etwa gleich lang.[4]
Der rechte Harnleiter liegt in räumlicher Nähe zu Duodenum, Ileum, Colon ascendens, Blinddarm und Wurmfortsatz, der linke zu Bauchspeicheldrüse, Jejunum, Colon descendens und Colon sigmoideum. Da aber genaue anatomische Landmarken fehlen, kann er bei Operationen am Colon und Mastdarm und insbesondere bei der laparaskopischen Entfernung der Gebärmutter versehentlich verletzt werden.[5][6] Beidseits liegen die Harnleiter bauchseitig des Nervus genitofemoralis, der rechte liegt seitlich der unteren Hohlvene (Vena cava inferior), der linke seitlich der unteren Gekrösevene (Vena mesenterica inferior).[7]
Nach seinem Eintritt in die Harnblasenwand verläuft er zunächst ein kurzes Stück innerhalb dieser (intramural) und mündet dann mit der Harnleitermündung (Ostium ureteris) in das Innere der Harnblase. Der Verlauf in der Blasenwand verhindert bei stärkerem Füllung der Harnblase einen Rückfluss (vesikorenaler Reflux) des Urins zur Niere.[8] Durch diesen intramuralen Verlauf entstehen in der Harnblasenschleimhaut zwei konvergierende Falten (Columnae uretericae, Fortsetzung als Plicae uretericae), die das Harnblasendreieck (Trigonum vesicae) begrenzen.[2]
Drei Abschnitte des Harnleiters sind anatomische Engstellen, in denen sich bevorzugt Harnsteine festsetzen:[2][9]
- Ursprung aus dem Nierenbecken „(ureterpelvischer Sphincter“)
- am Übergang vom großen in das kleine Becken mit Überquerung der Aufgabelung der Arteria iliaca communis
- intramuraler Verlauf in der Harnblasenwand. Der intramurale Abschnitt ist 0,5 bis 1 cm lang und die engste Stelle.[10]
Die Blutversorgung des Harnleiters unterscheidet sich regional. Der nierennahe Abschnitt erhält Blut direkt aus den Nierenarterien (Arteria renalis). Der mittlere Abschnitt wird von Ästen der Aorta, der Arteria iliaca communis und der Keimdrüsenarterien (Arteria ovarica bzw. Arteria testicularis) versorgt. Das Endsegment erhält Blut über Äste der Arteria iliaca interna. Der Lymphabfluss erfolgt im vorderen Harnleiterabschnitt links über die Nodi lymphatici paraaortici, rechts über die Nodi lymphatici paracavales, im mittleren Harnleiterabschnitt über die Nodi lymphatici iliaci communes und im letzten Abschnitt über die Nodi lymphatici iliaci interni.[11] Die Nerven stammen aus Ästen der Spinalnerven vom 12. Brust- (Th12) bis zum zweiten Lendensegment (L2) des Rückenmarks. Schmerzen infolge von Erkrankungen des Harnleiters zeigen sich demzufolge in den Dermatomen dieser Segmente. Die Nervenfasern bilden ein Geflecht, den Plexus uretericus, um das Organ. Die sympathischen Nerven stammmen aus den Segmenten Th10 to L2 und werden in den Plexus aorticorenalis, hypogastricus superior und hypogastricus inferior umgeschalten. Die parasympathischen Fasern stammen aus dem Kreuzteil des Rückenmarks und verlaufen über die Nervi pelvici. Die Bedeutung der Innervation ist nicht geklärt, denn die Peristaltik des Harnleiters wird über Schrittmacherzellen im Nierenbecken ausgelöst.[5]
Embryologie
Der Harnleiter entsteht, wie der Großteil des Harn- und Geschlechtsapparats, aus dem mittleren Keimblatt des Embryos, dem Mesoderm, genauer aus dem Ursegmentstiel. Beim Embryo der Amnioten werden nacheinander drei Nierengenerationen (Vor-, Ur- und Nachniere) gebildet. Der Ausführungsgang der Urniere, der Urnierengang (Synonym Wolff-Gang, Ductus mesonephricus), mündet in die Kloake. Von ihm wächst ein Zellspross, die Ureterknospe, aus. Beim menschlichen Embryo geschieht dies gegen Ende der vierten Schwangerschaftswoche.[12] Diese Knospe wächst kopfwärts und dringt in die Anlage der dritten Nierengeneration vor.[13] Damit leitet sie auch die Entwicklung der Nachniere ein, die in der 36. Woche abgeschlossen ist. In der Nachnierenanlage verzweigt sich die Ureterknospe bis zur 14. Woche und ist damit auch Ausgangspunkt des Nierenbeckens, der Gänge der Nierenpapillen (Ductus papillares) und der Sammelrohre der definitiven Niere.[12]
In der 6. Schwangerschaftswoche ist der Harnleiter noch ein solider Strang. Dann beginnt er, vom mittleren Abschnitt aus, sich in beide Richtungen zu kanalisieren, es entsteht also ein Lumen. Mit der Entstehung der Ureterknospe bildet sich auch in der Kloake eine Scheidewand, die den Mastdarm vom Harn- und Geschlechtsraum (Sinus urogenitalis) abgrenzt.[14]
Histologie
Der Harnleiter zeigt den typischen Aufbau vieler Hohlorgane mit einer inneren Schleimhaut (Tunica mucosa), einer Muskelschicht (Tunica muscularis) aus glatter Muskulatur und einer äußeren bindegewebigen Verankerungsschicht (Tunica adventitia). Man nennt diesen Grundaufbau „häutig-muskulöser Schlauch“.
Die Schleimhaut weist fünf bis sieben Längsfalten auf.[3] Daher erscheint das Lumen im Querschnitt sternförmig. Die Falten sind Reservebildungen und verstreichen bei stärkerer Dehnung des Organs. Innen ist die Schleimhaut mit einem speziellen Epithel, dem Urothel bedeckt. Im Urothel sind die Zellen mehrreihig angeordnet und können so den Volumenschwankungen folgen. Es lassen sich drei Schichten unterscheiden. Die Basalzellen sind klein und von kubischer Form und sitzen der Basalmembran auf. Die mittlere Zellschicht besteht aus drei bis sieben Zelllagen, den Intermediärzellen. Zum Lumen hin folgen schließlich die Deckzellen. Diese kuppelförmigen Zellen sind oft zwei- oder mehrkernig und durch Tight Junctions fest verbunden, so dass eine wasserdichte Barriere entsteht. Zudem ist die lumenseitige Zellmembran durch bestimmte Zellorganellen (Intermediärfilamente und spindelförmige Vesikel) modifiziert und durch Einfaltungen und Mikrovilli charakterisiert. Dies erweckt lichtmikroskopisch das Bild einer „Kruste“ (Crusta).[15] Diese besondere Ausprägung der Zellmembran schirmt das darunterliegende Gewebe vor toxischen und hypertonen Substanzen ab. In das Urothel sind auch Lymphozyten und Makrophagen eingelagert, welche der Abwehr von Krankheitserregern dienen. Das Epithel sitzt auf einer Bindegewebsschicht, die als „Eigenschicht der Schleimhaut“ (Lamina propria mucosae) bezeichnet wird.[16]
Die Muskelschicht kann in eine innere Schicht mit längs angeordneten Muskelzellen (Longitudinalmuskelschicht, Stratum longitudinale) und eine äußere Schicht mit zirkulär angeordneten Zellen (Ringmuskelschicht, Stratum circulare) gegliedert werden. Im Bereich des Beckenteils des Harnleiters liegt der Ringmuskelschicht noch einmal eine (äußere) Längsmuskelschicht (Stratum longitudinale externum) auf. Diese Schichtung ist aber eher vereinfachend, in Wirklichkeit handelt es sich um spiralig angeordnete Muskelsysteme mit unterschiedlicher Steigung.[17]
Vergleichende Anatomie
Bei den Fischen und Amphibien ist die Urniere die eigentliche Niere. Die meisten Fische haben eine Harnblase, so dass der Harnleiter die Urniere mit dieser verbindet.[18] Der Harnleiter der Fische ist von einem hochprismatischen Epithel ausgekleidet.[19] Bei den Amphibien münden die Harnleiter dagegen in die Kloake. Die Harnblase ist bei ihnen eine Ausstülpung der Kloake, der Urin gelangt also von der Kloake in die Harnblase. Auch bei den Reptilien und Vögeln verbindet der Harnleiter die hier erstmals in der Evolution auftretende Nachniere mit der Kloake. Einige Reptilien (Schildkröten, einige Eidechsen) haben wie die Amphibien eine von der Kloake ausgehende Harnblase, ebenfalls ohne direkte Verbindung zum Harnleiter.[18]
Bei Vögeln ist kein Nierenbecken ausgebildet. Der Harnleiter entspringt an der vorderen der drei Nierendivisionen. Er verläuft nach hinten, nimmt dabei die Sammelrohre der anderen Nierendivisionen auf und im Weiteren, bei männlichen Vögeln parallel zum gleichseitigen Samenleiter, zum Harnraum (Urodaeum) der Kloake.[20] Im Bereich der Mündung ist ein kräftiger Schließmuskel ausgebildet. Ähnlich wie beim Verlauf in der Harnblasenwand beim Säuger ziehen beide Harneiter beim Vögeln schräg durch die Kloakenwand und bilden dadurch Schleimhautfalten. Die Schleimhaut besteht aus einem einer Lamina propria aufsitzenden Epithel. Letzteres ist im vorderen und mittleren Abschnitt säulenartig, im hinteren in Form eines Übergangsepithels (Urothel) ausgebildet. Unter der Schleimhaut liegt eine Submukosa, eine Bindegewebsschicht mit Blut- und Lymphgefäßen. Nach außen folgt eine Muskelschicht, deren glatte Muskelzellen innen in Längsrichtung, außen ringförmig angeordnet sind. Außen schließt eine bindegewebige Tunica adventitia das Organ ab und verankert es im Retroperitonealraum.[21]
Bei den anderen Säugetieren sind Aufbau und Entwicklung der Harnleiter weitestgehend identisch zum Menschen. Der Beckenteil des Harnleiters kreuzt bei den Nichtprimaten in eine Gekrösefalte in der Beckenhöhle ein, die Plica urogenitalis. Daher tritt im Endabschnitt außen eine Tunica serosa anstatt einer Tunica adventitia auf. In dieser Falte überkreuzt er beim männlichen Tier rückenseitig den gleichseitigen Samenleiter. Bei Pferden sind in die Schleimhaut des Anfangsteils, ebenso wie im Nierenbecken, Schleimdrüsen eingelagert. Diese Harnleiterdrüsen (Glandulae uretericae) sind für die viskos-fadenziehende Konsistenz des Pferdeharns verantwortlich. Die Blutversorgung des Harnleiters erfolgt über je einen Harnleiterast (Ramus uretericus) aus der Nierenarterie (Arteria renalis) und der hinteren Harnblasenarterie (Arteria vesicalis caudalis).[22]
Physiologie
Die Harnleiter befördern durch peristaltische (sogenannte Spindelperistaltik, von altgriechisch περισταλσις peristellein, deutsch ‚umhüllen‘[23]) Kontraktionswellen pro Minute beim Erwachsenen etwa drei bis sechs Tropfen Harn in die Harnblase.[3] Dabei wird der Urin in kleinen Portionen durch Erschlaffen der Wandmuskulatur des Harnleiters aufgenommen. Durch anschließende Kontraktion wird der Harn dann aktiv nach in Richtung Harnblase befördert. Dieser Flüssigkeitstransport gelingt auch gegen die Schwerkraft zum Beispiel beim Kopfstand oder bei einem Gefälle. Die Peristaltik wird von Schrittmacherzellen im Bereich der kleinen Nierenkelche des Nierenbeckens ausgelöst. Man bezeichnet sie als „atypische glatte Muskelzellen“, die eine spontane rhythmische elektrische Aktivität aufweisen und die Muskeldepolarization bewirken.[24] Die Peristaltik sorgt für einen stetigen Abtransport des Urins und für eine ständige Selbstreinigung der Harnleiter, da aufsteigende Bakterien in die Blase zurückgespült werden.
Bei maximal gefüllter Harnblase erfolgt keine Peristaltik. Während der Blasenentleerung kontrahieren die Muskelschichten der Harnblase und verschließen gleichzeitig automatisch den Eingang zum Harnleiter, so dass der Urin nicht zurückfließen (vesikorenaler Reflux) kann.
Untersuchung des Harnleiters
Der klinischen Untersuchung ist der Harnleiter nicht zugänglich, auch auf einer normalen Röntgenaufnahme stellt er sich nicht dar, lediglich röntgendichte Harnleitersteine werden abgebildet. Deshalb werden bei der Urografie Kontrastmittel verabreicht, meist intravenös verabreichte Substanzen, die über die Niere ausgeschieden werden. Hiermit lässt sich der Harnleiter in seiner gesamten Länge darstellen. Die Urografie ist durch andere bildgebende Verfahren Untersuchungen weitestgehend ersetzt worden und wird heute vor allem noch zur Diagnostik von Harnleitersteinen angewendet. Die Darstellung des Harnleiters mittels Sonografie gelingt meistens nur bei Stauungen (Ureterozele). Die Computertomografie (CT) wird in Niedrigdosistechnik oder als CT-Urografie eingesetzt. Sie ist im Nachweis von Harnleitersteinen verlässlicher als die herkömmliche Urografie und kann auch zur Stadienbestimmung in der Onkologie verwendet werden. Die Magnetresonanztomographie hat eine ähnliche diagnostische Aussagekraft und ist besonders dann angezeigt, wenn eine Kontrastmittelgabe wegen Unverträglichkeit nicht möglich ist.[25] Mit einem Miktionszystourethrogramm kann ein krankhafter Rückfluss von Urin von der Blase in die Harnleiter und die Niere dargestellt werden. Die Ureteroskopie ist ein endoskopisches Verfahren zur direkten Darstellung und gegebenenfalls auch Behandlung (minimalinvasive Chirurgie) bestimmter Harnleitererkrankungen wie Steinen. Das Endoskop kann dabei entweder über die unteren Harnwege oder, wenn dies aufgrund von Verlegungen nicht möglich ist, durch die Bauchdecke und das Nierenbecken in den Harnleiter eingeführt werden (perkutane anterograde Ureterskopie).[26] Die Ureteroskopie ist besonders bei Steinen[27] sowie bei Tumoren diagnostisches Mittel der Wahl, allerdings sind bei Tumoren zur Begutachtung der Umgebung (insbesondere der Lymphknoten in Hinblick auf Metastasen) zusätzlich CT- oder MRT-Untersuchungen notwendig.[28]
Erkrankungen
Erkrankungen der Harnleiter sind vor allem dann akut lebensgefährlich, wenn sie eine Verlegung (Obstruktion) und damit eine Abflusstörung verursachen. Dies führt Rückstau des Urins in die Niere (Hydronephrose) und letztlich zu einem postrenalen (Ursache liegt „hinter der Niere“) Nierenversagen.
Fehlbildungen
Die häufigste angeborene Fehlbildung, bedingt durch eine Störung der Embryonalentwicklung, ist die teilweise oder komplette Doppelanlage des Harnleiters (Ureter fissus, Ureter duplex). Sie wird autosomal-dominant vererbt und tritt bei etwa 0,8 % der Menschen auf, in 20 bis 40 % der Fälle beidseitig. Diese Dopplung kann durch eine zusätzliche oder eine sich am Ursprung teilende Ureterknospe entstehen.[29] Die vollstängige Dopplung zeigt sich häufig in vermehrten Harnwegsinfekten.[30] Sehr selten ist ein dreifach pro Seite angelegter Harnleiter, hier sind erst etwa 100 Fälle beim Mneschen dokumentiert,[31] oder gar ein vierfacher Harnleiter.[32] In der alten Fachliteratur wurde auch das vollständige Fehlen (Agenesie) eines Harnleiters beschrieben.[33]
Eine weitere häufigere Fehlbildung ist die Harnleiterektopie, bei der die Mündung des Harnleiters nicht im Bereich des Harnblasendreiecks liegt. Sie entsteht wenn die Ureterknospe etwas höher als normal aus dem Urnierengang entspringt und sie dadurch weiter seitlich in den Sinus urogenitalis einbezogen wird.[34] Sie tritt bei 0,05 % der Menschen auf, es sind vor allem Mädchen (80 %) betroffen, in etwa 10 % der Fälle tritt sie beidseitig auf. Da die Mündung stets hinter dem Blasenschließmuskel erfolgt, geht die Harnleiterektopie bei Mädchen immer mit unkontrolliertem Harnträufeln (Harninkontinenz) einher.[35] Die Harnleiterektopie ist auch in der Tiermedizin von Bedeutung und für etwa 50 % der Fälle von Harnträufeln bei jungen Hunden verantwortlich.[36]
Der angeborene Verschluss des Harnleiters (Harnleiteratresie) ist sehr selten, entsteht meist durch Durchblutungsstörungen während der frühen Nierenentwicklung und ist meist mit einer gleichseitigen Nierendysplasie vergesellschaftet.[37] Auch das angeborene Harnleiterdivertikel ist extrem selten, bislang sind nur 45 Fälle beschrieben.[38] Der retrocavale Ureter (RCU) ist eine seltene Anomalie des rechten Harnleiters, der durch eine Fehlbildung der unteren Hohlvene (Vena cava inferior) infolge der Perisistenz der rechten Vena subcardinalis bedingt ist. Dies führt dazu, dass der Harnleiter zunächst hinter der unteren Hohlvene verläuft und dann um diese umbiegt, wodurch häufig Obstruktionen entstehen.[39]
Der angeborene vesikorenale Reflux (VRR) entsteht durch Harnleiterektopie oder durch eine Fehlanlage beim Verlauf des Harnleiters durch die Harnblasenwand (intramuraler Abschnitt). Sie tritt bei Kindern in einer Häufigkeit von 1 bis 2 % auf und wird zumeist im Zusammenhang mit Harnwegsinfekten entdeckt. Er ist auch für 10 % der Fälle einer vor der Geburt im Rahmen der Pränatalmedizin festgestellten Hydronephrosen verantwortlich.[40] Während der angeborene VVR zu 80 % Jungen betrifft, ist das Geschlechterverhältnis beim erworbenen umgekehrt, hier ist das weibliche Geschlecht fünfmal häufiger betroffen.[41]
Bei der Nierenbeckenabgangsenge (Ureterabgangsstenose) ist das Nierenbecken erweitert und der Harnleiterursprung eingeengt. Sie ist für 35 % der pränatal erkannten Harnwegserkrankungen verantwortlich und tritt bei einer von 2000 Lebendgeburten und vor allem am linken Harnleiter auf. Die Einengung entsteht meist durch eine fehlerhafte Struktur der Muskelschicht des Harnleiters, die eigentliche Ursache ist unbekannt.[42] Die Ureterozele) ist eine zystische Erweiterung des blasenseitigen Abschnitts des Harnleiters. Sie tritt bei einem von 4000 Kindern auf, häufiger bei Mädchen und zumeist im Bereich des linken Harnleiters.[43]
Postrenales Nierenversagen
Bei jeder einzelnen Niere kann man beim ureteral bedingten postrenalen Nierenversagen die Ureterobstruktion (innere Querschnittsverkleinerung) von der Ureterkompression (Lumeneinengung von außen) unterscheiden. Diese Abflusshindernisse können zur führen.
- Ursachen einer Ureterobstruktion: Urolithiasis, Papillennekrosenabgang, Blutung, Ödem
- Ursachen einer Ureterkompression: Tumor, Endometriose, Retroperitonealfibrose (Morbus Ormond), retroperitoneale Blutung
An den oben genannten Engstellen bleiben häufig die Nierensteine hängen. Durch krampfartige Muskelaktionen versucht der Harnleiter, die Steine weiter zu transportieren, was als schmerzhafte (Nieren-)Kolik wahrgenommen wird. Häufig kommt es auch zur Makrohämaturie. Bei erschwertem Abfluss hypertrophiert die Uretermuskulatur oberhalb des Hindernisses rasch.
Bei älteren Menschen kann der Harnleiter mit Steinen gefüllt sein. Diese Steine haben eine unterschiedliche Größe, der größte Stein wird dann als Pilotstein bezeichnet. Zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit des Organs kann eine Harnleiterschienung durchgeführt werden.
Entzündungen
Bei chronischen Infektionen können sich weißliche Plaques an der Harnleiterwand ablagern, was als Malakoplakie bezeichnet wird.
Bei einer Blasenentzündung kann es auch zur erstmals 1937[44] von dem Nürnberger urologischen Chirurgen Eduard Pflaumer (1872–1957)[45] beschriebenen beidseitigen Harnleitererweiterung kommen. Beim sogenannten Megaureter besteht eine Erweiterung des gesamten, meist dickwandigen und gewundenen Ureters.
Eine tuberkulöse Ureteritis ist selten, aber gefürchtet. Ursache ist bei einseitigem Befall meistens ein kanalikulärer Abstieg einer Nierentuberkulose. Bei zuerst einseitigem Befall kann sekundär von der Blase aufsteigend auch der kontralaterale Ureter infiziert werden. In schweren Fällen kann es zur Ureteritis caseosa mit flächenhaften Nekrosen kommen.[46]
Nicht nur bei der Tuberkulose, sondern bei allen bakteriellen Harnwegsinfektionen können Krankheitserreger von der Harnblase durch den Ureter in das Nierenbecken aufsteigen. Dort kommt es zur Pyelitis. Dieser Prozess wird durch krankhafte Kontraktionen der entzündeten Blase begünstigt. Bei diesem Prozess gibt es retroperistaltische Kontraktionen des Harnleiters, die den infizierten Urin von der Harnblase in das Nierenbecken hinaufbefördern.[47]
Verletzungen
Mitunter kann es zu Harnleiterperforationen, zu einem Ureterabriss[48] oder auch besonders nach Operationen oder Bestrahlungen von Tumoren des weiblichen Genitales zu einer Harnleiterscheidenfistel kommen.[49]
Harnleitertumor
Harnleitertumore sind fast immer bösartig. Die Diagnostik von Harnleiterkrebs (Ureterkarzinom) erfolgt mittels Computertomographie und mit einer endoskopischen Gewebeentnahme, das heißt, mit einer Harnleiter-Spiegelung mit einer Kamera. Ureterkarzinome treten beim Analgetikaabusus 89-mal häufiger auf als beim Nichtabusus.
Geschichte
Schon Aristoteles und Hippokrates von Kos haben die Harnleiter beschrieben. Das lateinische Wort Ureter findet sich aber erst ab etwa 1550 im medizinischen Sprachgebrauch. Damals grenzten die Anatomen Bartolomeo Eustachi und Jacobus Sylvius erstmals konsequent den Harnleiter von der Harnröhre (lateinisch Urethra) ab.[50] Die Verwechslung von Harnleiter und Harnröhre passsiert Laien noch heute. In den ersten Auflagen der Erstausgabe von Noah Gordons Bestseller Der Medicus verwechselte der Übersetzer Willy Thaler Urethra und Ureter.
Veraltete Namen für den Harnleiter sind Harngang[51] und Urinleiter.[52]
Die ersten Versuche der Röntgendarstellung von Harnleitersteinen fanden Anfang des 20. Jahrhunderts statt. Aufgrund der Schichtdicke und der geringen Leistung der Röntgenröhren waren die Aufnahmen zunächst unscharf und kaum verwertbar. Der britische Urologe Edwin Hurry Fenwick führte 1908 röntgendichte Substanzen über die unteren Harnwege (retrograd) in die Harnleiter ein und gilt damit als Vater der Urografie. Theodor Hryntschak gelang 1929 die Darstellung mit intravenös verabreichten Kontrastmitteln. Ein Problem blieb die Kontrastmittelinduzierte akute Nierenschädigung.[53] 1929 gelang H. H. Young und R. W. McKay die erste Ureteroskopie mit einem starren Endoskop,[54] mit der technischen Weiterentwicklung beschrieb V. F. Marshall 1964 erstmals die Ureteroskopie mit einem flexiblen Endoskop.[55]
Obwohl Harnsteine schon in der Antike bekannt waren und ihre Entfernung aus der Blase beschrieben war – im Mittelalter gab es dafür den Beruf des Steinschneiders (Lithotomus) – dauerte es bis 1986, bis die technischen Möglichkeiten einer Uretersteinzertrümmerung mit Lasern ausgereift war.[56] Die erste Harnleiterschienung führte Gustav Simon bereits im 19. Jahrhundert durch,[57] die heute noch eingesetzten Doppel-J-Schienen wurden erstmals 1967 P. D. Zimskind und Mitarbeitern beschrieben.[58] .
Literatur
- Mahmoud Abdel-Gawad, Bedeir Ali-El-Dein, John Barry, Arnulf Stenzl: The Ureter – A Comprehensive Review. Springer Nature Switzerland, Cham 2023, ISBN 978-3-03136211-8.
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Weblinks
Einzelnachweise
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