Johann Georg Ferdinand Müller[1] (später George Müller;[2] * 27. September 1805 in Kroppenstedt; † 10. März 1898 in Bristol, England) war ein deutscher evangelischer Theologe und Evangelist. Bekannt wurde er als „Waisenvater von Bristol“.
Leben
Georg Müller war der Sohn eines Steuereinnehmers. 1810 zog die Familie nach Hadmersleben, wo Müller seine Jugendjahre verbrachte. Nach Besuch des Gymnasiums in Halberstadt und Nordhausen studierte er zunächst in Halle Theologie, führte aber ein eher ausschweifendes Leben. Durch einen Bibelgesprächskreis im Hause des schlichten Veit Wagner kam er zu einem neuen Verhältnis zum christlichen Glauben und engagierte sich daraufhin für die missionarische Arbeit. Dabei wurde er auch von dem evangelischen Theologieprofessor August Tholuck (1799–1877) beeinflusst.
1829 ging er als Missionar nach England. Sein besonderer Einsatz galt der Judenmission. Hier lernte er den Zahnarzt Anthony Norris Groves kennen, der nur aus Glauben arbeitete und sein gesichertes Einkommen aufgegeben hatte. Georg Müller beschloss, seinen Dienst nach denselben Regeln durchzuführen.
1830 berief ihn die kleine Gemeinde in Teignmouth zum Prediger. Im selben Jahr heiratete er Groves’ Schwester Mary. 1832 ging er mit seinem Freund Henry Craik als Prediger nach Bristol. Hier begann er 1836 nach dem Lesen der Biografie von August Hermann Francke, dem Gründer der Halleschen Waisenanstalten, eine Waisenarbeit in Ashley Down für über 1000 Waisen aufzubauen, deren Eltern meist in der Cholera-Epidemie von 1832 gestorben waren. Die Arbeit lebte von Spenden, ohne dass jemals ein Spendenaufruf veröffentlicht wurde, weil Georg Müller darauf vertraute, dass Gott für alle notwendigen Spenden sorgen würde.
Außer von Francke wurde Müller stark von dem methodistischen Erweckungsprediger George Whitefield geprägt.
Müllers Gemeinde in Bristol, die „Bethesda Chapel“, gehörte der Brüderbewegung an. 1848 trennte sich John Nelson Darby von dieser Gemeinde, weil sie ihm zu zögerlich darin war, angebliche Irrlehren des Bibelauslegers Benjamin Wills Newton[3] zu untersuchen und zu verurteilen.[4] Durch diese Trennung entstanden die „Open Brethren“ („offene Brüder“), denen Müller zeitlebens verbunden blieb.
Ab 1875 unternahm Müller Evangelisationsreisen durch Europa, Amerika, Asien und Australien. Dadurch kam er auch wieder nach Deutschland und in die Schweiz. Neben Friedrich Wilhelm Baedeker, Carl Heinrich Rappard, Otto Stockmayer, Hudson Taylor, Dwight Lyman Moody u. a. gehörte er zu den führenden Männern der Heiligungsbewegung und der Evangelisationsbewegung.
„‘Herr Müller’, schrieb die Bristol Evening News, ‘war eine einmalige Erscheinung unter den Menschenfreunden des 19. Jahrhunderts. In einem Zeitalter des Unglaubens und des Materialismus probierte er Theorien praktisch aus, die viele Menschen nur für weltfremdes Theologengezänk halten.’“
Nach ihm sind die Georg-Müller-Gesamtschulen in Wetter und Bielefeld benannt.[6][7]
Schriften (Auswahl)
Ein ausführliches Verzeichnis von Müllers Schriften findet sich im Katalog des Christian Brethren Archive (Universitätsbibliothek Manchester).
- A Narrative of some of the Lord’s Dealings with George Muller. 6 Bände. Nisbet, London 1837–86 u.ö.
- Autobiography of George Müller or a million and a half in answer to prayer. Nisbet, London 1905.
- Und der himmlische Vater ernährt sie doch. Tagebücher (deutsche Auswahlausgabe). R. Brockhaus, Wuppertal 1985 u.ö. Neuausgabe: Hänssler, Holzgerlingen 2009.
Film
- Georg Müller – Ein Mann, der die Welt veränderte (Hänssler DVD)
Literatur
- Die Franke’schen Stiftungen in England. In: Die Gartenlaube. Heft 10, 1858, S. 136–138 (Volltext [Wikisource]).
- Arthur T. Pierson: Georg Müller von Bristol. Johannis, Dinglingen 1906, 211996. ISBN 3-501-00965-8
- Roger Steer: Georg Müller – vertraut mit Gott. CLV, Bielefeld 1995. ISBN 3-89397-351-6
- Nathanael Schulz: Müller, Georg Friedrich [sic!]. In: Guido Heinrich, Gunter Schandera (Hrsg.): Magdeburger Biographisches Lexikon 19. und 20. Jahrhundert. Biographisches Lexikon für die Landeshauptstadt Magdeburg und die Landkreise Bördekreis, Jerichower Land, Ohrekreis und Schönebeck. Scriptum, Magdeburg 2002, ISBN 3-933046-49-1 (Artikel online).
- Ulrich Bister: Georg Müller (1805–1898). Zum 200. Geburtstag. Jota, Hammerbrücke 2005. ISBN 3-935707-32-0
- Janet & Geoff Benge: Georg Müller – Vater der Waisen von Bristol. YWAM, Hurlach 2008. ISBN 978-1-57658-426-2
- Clive Langmead: Georg Müller. Der Waisenvater von Bristol. Brunnen, Gießen 2010. ISBN 978-3-7655-1752-5
- Stephan Holthaus: „Kein Bristol ohne Halle. Georg Müllers frühe Jahre in Deutschland (1805–1829)“. In: Jahrbuch für evangelikale Theologie 24 (2010), S. 65–78.
- Darin Duane Lenz: “Strengthening the Faith of the Children of God”: Pietism, Print, and Prayer in the Making of a World Evangelical Hero, George Müller of Bristol (1805–1898). PhD Thesis, Kansas State University, Manhattan KS 2010.
- … als sähe er den Unsichtbaren (The Autobiography of George Müller; Übersetzer: Hermann Grabe). CLV, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-86699-340-2
- John Piper: Vereint im Vertrauen. Charles Spurgeon, Georg Müller, Hudson Taylor. CLV, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-86699-367-9
Weblinks
- Literatur von und über Georg Müller im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Gerhard Jordy: Nicht vergeblich vertraut. Ein Lebensbild Georg Müllers. (PDF; 785 kB) 1998
- Johannes Warns: Georg Müller und John Nelson Darby. Ein Rückblick auf den sogenannten Bethesdastreit zu Bristol im Jahre 1848. (PDF; 266 kB) 1936
- Johannes Menninga: Plymouth und Bethesda. Die Gemeinde (Ekklesia) nach dem Worte Gottes. Eine Prüfung der „Kirchenidee“ im Lichte des Wortes, in Erwiderung auf die Schrift von Joh. Warns: „Georg Müller und John Nelson Darby“. (PDF; 123 kB) 1936
- Arend Remmers: Kurzbiographie: Georg Müller (1805–1898)
- Christoph Maas: Ohne Kapital mit Gottvertrauen. Deutschlandfunk Kultur, 11. Juli 2010; über Georg Müller und die englischen Waisenhauseinrichtungen in Bristol.
- Georg Müller – ein Mann, der die Welt veränderte. Bibel TV
Einzelnachweise
- ↑ So sein vollständiger Name nach dem Schülerverzeichnis des Domgymnasiums Halberstadt, Jahrgang 1815, Blatt 255 (vgl. Holthaus 2010, S. 68, Fußn. 18; Lenz 2010, S. 81, Fußn. 1; Langmead 2010, S. 11).
- ↑ Bei der Annahme der britischen Staatsbürgerschaft am 18. Dezember 1861 ließ er sich offiziell als George Müller registrieren (vgl. Lenz 2010, S. 81, Fußn. 1).
- ↑ Nach eigenen Angaben hat Newton sie nie vertreten, sondern sich lediglich ungenau ausgedrückt. William Blair Neatby, A History of the Plymouth Brethren (PDF; 833 kB), S. 66–68.
- ↑ Nach Neatby (PDF; 833 kB), S. 86 ff. wurden die Lehren, wie von Darby gefordert, untersucht, doch eine Aussöhnung zwischen Darby und Müller scheiterte daran, dass Müller als Voraussetzung ein tiefgründigeres persönliches Gespräch wünschte, was jedoch nie zustande kam.
- ↑ Roger Steer: Georg Müller. Vertraut mit Gott. CLV, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89397-351-4, S. 232.
- ↑ Internetauftritt der Schule. Abgerufen am 5. April 2021.
- ↑ Georg-Müller-Schule | Home. Abgerufen am 8. September 2021 (deutsch).
Personendaten | |
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NAME | Müller, Georg |
ALTERNATIVNAMEN | Müller, Johann Georg Ferdinand; Müller, George |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Theologe, Evangelist und Waisenhausleiter |
GEBURTSDATUM | 27. September 1805 |
GEBURTSORT | Kroppenstedt |
STERBEDATUM | 10. März 1898 |
STERBEORT | Bristol |