
Ferat Ali Koçak (* 26. Mai 1979[1] in West-Berlin) ist ein deutscher Politiker (Die Linke). Er war von 2021 bis 2025 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und ist seit 2025 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gewann das Direktmandat im Wahlkreis Neukölln und ist damit der erste Politiker der Linken, der einen Wahlkreis außerhalb der ehemaligen DDR gewann.
Leben
Koçak wurde in Berlin-Kreuzberg als Sohn kurdisch-alevitischer Einwanderer geboren.[2] Sein Vater war direkt nach dem türkischen Militärputsch von 1980 nach Deutschland geflohen und wurde als Gewerkschafter politisch verfolgt. Die Mutter, eine Frauenrechtlerin, war Tochter von Gastarbeitern, die in den 1960ern nach Berlin kamen.[3] Koçak leistete seinen Zivildienst im Berliner Kurdistan Kultur- und Hilfsverein.[4]
Danach studierte er Wirtschaftswissenschaften an der FU Berlin und schloss das Studium als Diplom-Volkswirt ab. Im Anschluss war Koçak zunächst als Trainee und dann nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung im Management für die Allianz-Gruppe tätig.[4] Anschließend arbeitete er als Marketing Director mit dem Schwerpunkt Digitales Marketing an der Berlin International University of Applied Sciences (BAU), sowie an der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur (htwk) und der Internationalen Berufsakademie (iba), später als Campaigner bei Campact.
Koçak, der Atheist ist, lebt zusammen mit seiner jüdischen Lebenspartnerin im Süden Neuköllns.[5][6]
Politik
Durch seine Eltern wurde Koçak in Berliner linken kurdischen und türkischen Kreisen sozialisiert. Der Anlass seines Eintritts in die Linkspartei im Jahr 2016 war das Erstarken rechter Gruppierungen, insbesondere der Partei AfD, deren Bekämpfung er und seine Freunde unterstützen wollten. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2016 kandidierte Koçak für die Partei Die Linke im Wahlkreis Neukölln 6. Dabei gelang es ihm, die Stimmanteile für seine Partei im Verhältnis zu den letzten Wahlen zu verdoppeln. Er verfehlte dennoch den Einzug ins Abgeordnetenhaus.
Abgeordneter
Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2021 kandidierte er im Wahlkreis Neukölln 5. Er wurde über die Landesliste der Linken in das Abgeordnetenhaus gewählt. Bei der Wiederholungswahl 2023 zog er erneut ins Abgeordnetenhaus ein.
Koçak ist Sprecher für die Fraktion zu den Themenfeldern antifaschistische Politik sowie Flucht- und Klimapolitik. Er ist Mitglied der Ausschüsse für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie Umwelt- und Klimaschutz. Er ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Verfassungsschutz.[7] Außerdem ist er Beisitzer des Präsidiums des Abgeordnetenhauses.[8]
Zur Bundestagswahl 2025 trat er als Direktkandidat für Die Linke im Bundestagswahlkreis Berlin-Neukölln an[9] und holte mit 30,0 % der Erststimmen ein Direktmandat für die Partei.
Neukölln-Komplex
Koçaks Bekanntheit als linker Aktivist in Neukölln führte wiederholt zu rechten Angriffen auf ihn. Sie standen im Zusammenhang mit einer Serie rechtsextremer Anschläge im Süden Berlins, die auch als Neukölln-Komplex bezeichnet werden. Im Jahr 2018 verübten mutmaßlich der Neonazi-Szene zugehörige Täter einen Brandanschlag auf das Haus seiner Familie in Süd-Neukölln.[10] Der Angriff gehört zu einer Serie rechter Anschläge auf Politiker, Gewerkschafter, Menschen mit Migrationsgeschichte und antifaschistische Aktivisten in Neukölln, die unter anderem auch den Buchhändler Heinz Ostermann, die Gewerkschafterin Mirjam Blumenthal (SPD) und die Historikerin Claudia von Gélieu trafen, und zu der auch der unaufgeklärte Mord an Burak Bektaş gezählt wird. Gemeinsam mit anderen Betroffenen der Terrorserie kämpft Koçak für die Aufklärung der Anschläge. Dabei kam ans Licht, dass sowohl das Berliner Landeskriminalamt als auch der Verfassungsschutz darüber informiert waren, dass zwei bekannte Neuköllner Neonazis in den Wochen vor dem Brandanschlag Koçak beobachtet und verfolgt hatten.[11] Koçak behauptete daraufhin öffentlich Verstrickungen der Neuköllner Nazi-Szene mit Berliner Sicherheitsbehörden.
In einem Strafprozess, zu dem Koçak erst nach Einspruch als Nebenkläger zugelassen wurde, wurden die beiden angeklagten Neonazis Thilo P. und Sebastian T. im Dezember 2022 aufgrund mangelnder Beweise vom Vorwurf der Beihilfe zur Brandstiftung freigesprochen.[12] Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein.
Der Berufungsprozess vor dem Berliner Landgericht lief seit September 2024. In dem Prozess geht es auch um potenzielle Verstrickungen zwischen den Sicherheitsbehörden, der Justiz und der rechtsextremen Szene. Der Staatsanwalt aus der ersten Verhandlung wurde abgezogen. Im Dezember 2024 wurden die Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt.[13]
Politische Schwerpunkte
Koçak engagiert sich politisch in den Bereichen Antirassismus, Antifaschismus und Klimagerechtigkeit.
Insbesondere setzt er sich für die lückenlose Aufklärung allfälliger rechter Verstrickungen in den Berliner Sicherheitsbehörden ein.[14] Im Rahmen einer im Berliner Abgeordnetenhaus gehaltenen Rede im Februar 2022 konstatierte er Polizeigewalt und staatliche Repression gegen linke Aktivisten.[15] Darüber hinaus setzt er sich für die Anliegen geflüchteter Menschen ein, kritisiert Asylrechtsverschärfungen und fordert ein bedingungsloses Bleiberecht für alle Geflüchteten.[16] Koçak sieht sich selbst als „Bewegungslinker“.[17]
Außerdem beschäftigt sich Koçak mit den Themen Klimapolitik und Klimagerechtigkeit. Er sprach auf zahlreichen Veranstaltungen der Klimabewegung, wie beispielsweise Kundgebungen von Fridays for Future oder Ende Gelände. Dabei fordert er eine Verbindung antirassistischer, antifaschistischer und ökologischer Kämpfe.
Kurdenpolitik
Koçak engagiert sich seit seinem Studium in kurdischen Verbänden[18] und kritisierte mehrmals die türkische Regierung wegen des Vorgehens gegen kurdische Gruppierungen und Unabhängigkeitsbestrebungen, auch im Nordirak.[19][20]
Im Oktober 2024 besuchte er ein kurdisches Kulturzentrum in Berlin-Reinickendorf und wurde hierbei Zeuge eines versuchten Brandanschlags, bei dem jedoch niemand verletzt wurde. Zum Zeitpunkt des Anschlagsversuchs hielten sich bis zu 40 Personen in den Räumen des Zentrums auf.[21] Sein Besuch erfolgte wegen einer polizeilichen Durchsuchung des Zentrums einen Tag vorher, bei der dessen Ko-Vorsitzender Hüseyin Yılmaz und eine weitere Person vorläufig festgenommen wurde. Yılmaz war von 1999 bis 2004 Bürgermeister der Stadt Ağrı für die Partei HADEP, deren Politik auch von der PKK beeinflusst wird.[22] Koçak und der Vereinsvorstand gingen von einer Tat türkischer Nationalisten aus. Yılmaz verwies auch auf die zeitgleich stattfindenden „Global Free Öcalan Days“, mit denen linke Gruppen sich für die Freilassung Abdullah Öcalans einsetzten.[23] Koçak kritisierte nach der Razzia das PKK-Verbot: „Immer wieder nutzt die deutsche Politik das PKK-Verbot, um willkürlich gegen kurdische Vereine und Aktivistinnen vorzugehen. Die deutsche Politik macht sich zum Komplizen des türkischen Faschismus!“[21]
Nahostkonflikt
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 betonte Koçak: „Terror ist durch nichts zu rechtfertigen“. Gleichzeitig kritisierte er aber auch den daran anschließenden Krieg und sprach von „Israels brutale[m] Angriff mit zehntausenden Toten“, welcher „noch viel weniger“ zu rechtfertigen sei.[17] Eigenen Aussagen zufolge steht er „an der Seite des Völkerrechts und der Menschenrechte“.[24] Laut Tagesspiegel habe er „enge[n] Kontakt zu propalästinensischen Aktivisten“ und habe propalästinensische Demonstrationen angemeldet, auf denen es zu antisemitischen Vorfällen gekommen sei.[17] Die Haltung von Islamisten lehne er jedoch ab und äußerte: „Natürlich sind wir gegen Antisemitismus“. Einen Brandanschlag auf eine proisraelische Bar in Neukölln verurteilte er.[24] Zum Nahostkonflikt veröffentlichte Koçak gemeinsame Beiträge mit der Plattform Red, die laut US-Außenministerium verdeckt von Russland finanziert werden soll.[25]
Zur Beurteilung von Antisemitismus nutzt Koçak die Jerusalemer Erklärung zu Antisemitismus.[26] Der Tagesspiegel kritisierte 2024, dass Koçak als Beobachter von Palästina-Demonstrationen zum Krieg in Israel und Gaza eher angebliche Polizeigewalt als israelfeindliche Sprüche anprangere.[27] Im Februar 2025 lud Koçak den britischen Politiker Jeremy Corbyn, der für die Verharmlosung der Hamas in der Kritik steht, zu einer Wahlkampfveranstaltung.[28] Nach Kritik wurde die Veranstaltung abgesagt.[29] Laut Zeit Online halfen die Positionen zum Nahostkonflikt sowie ein Haustürwahlkampf Koçak, das Direktmandat zu erringen.[5]
Mitgliedschaften
Koçak ist Mitglied von ver.di, VVN-BdA und sitzt im Vorstand der Linken Medienakademie (LiMA)[30]. Er unterstützt Migrantifa, die Interventionistische Linke, Aufstehen gegen Rassismus, unterschiedliche klimapolitische Initiativen, Gruppen der türkischen und kurdischen Linken (so auch die HDP, deren Politik auch von der PKK beeinflusst wird[22]), The Left, das Aktionsnetzwerk Antirassismus, LinksKanax, die Bewegungslinke und Marx21. Koçak ist Mitbegründer der polizeikritischen Struktur Ihr seid keine Sicherheit und von Kein Generalverdacht.
Weblinks
- Ferat Koçak bei der Berliner Linksfraktion
- Ferat Koçak beim Berliner Abgeordnetenhaus
- Ferat Koçak bei abgeordnetenwatch.de
- Ferat Koçak auf bundestag.de
- Ferat Koçak bei der Linksfraktion im Bundestag
Einzelnachweise
- ↑ Kandidatur von Ferat Koçak für den Die Linke-Bezirksvorstand in Neukölln vom 16. November 2016, abgerufen am 2. Februar 2023.
- ↑ Alice v Lenthe,Wiebke Hollersen: Linker Wahlsieger in Neukölln: Ferat Koçak über Antisemitismusvorwürfe. 3. März 2025, abgerufen am 7. März 2025.
- ↑ Alke Wierth: Interview mit Ferat Kocak: „Angst ist ein Teil meines Lebens“. In: Die Tageszeitung: taz. 21. März 2020, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 27. Februar 2025]).
- ↑ a b Catherine Hoffmann: Sparschwein? Bei Türken problematisch. Konsumenten als Zielgruppe: Ferat Kocak, ein junger Versicherungskaufmann aus Berlin, umwirbt seine Landsleute - ganz ohne Klischees geht das kaum. In: sueddeutsche.de. Süddeutsche Zeitung, 11. Januar 2011, abgerufen am 26. Februar 2025.
- ↑ a b Tim Geyer, Hanna Wiedemann: Ferat Koçak: "Gratulation Habibi, von Herzen!" In: Die Zeit. 26. Februar 2025, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 28. Februar 2025]).
- ↑ Wir müssen den Druck aufrecht erhalten, bis alle Neonazi-Strukturen zurückgedrängt sind. 13. Oktober 2019, abgerufen am 28. Februar 2025.
- ↑ Ferat Koçak, MdA. 1. Dezember 2023, abgerufen am 7. Dezember 2023 (englisch).
- ↑ Das Präsidium. Abgerufen am 7. Dezember 2023.
- ↑ Berliner Linke wählt Landesliste und startet in den Wahlkampf. Abgerufen am 31. Dezember 2024.
- ↑ „Meine Eltern hätten sterben können“: Linke-Politiker Kocak berichtet im Neukölln-Ausschuss über Brandanschlag. In: Tagesspiegel. 16. September 2022 .
- ↑ Jo Goll rbb: Anschläge in Berlin: Worum geht es im Neuköllner Neonazi-Prozess? Abgerufen am 7. Dezember 2023.
- ↑ Erik Peter: Rechtsextreme Terrorserie in Neukölln: Freispruch für Neonazi. In: Die Tageszeitung: taz. 15. Dezember 2022, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 7. Dezember 2023]).
- ↑ Der Rechte Rand 212/2025, S. 37
- ↑ deutschlandfunkkultur.de: Linken-Politiker Ferat Kocak – „Die Spur des NSU 2.0 führt bis nach Neukölln“. Abgerufen am 7. Dezember 2023.
- ↑ Keine Kriminalisierung von Klimaprotest. 10. Februar 2022, abgerufen am 7. Dezember 2023 (englisch).
- ↑ Für ein menschenwürdiges Bleiberecht! Solidarität mit den Protesten gegen die Asylrechtsverschärfungen. 25. Mai 2023, abgerufen am 15. Dezember 2023.
- ↑ a b c Wer ist Ferat Koçak?: Ein radikaler Aktivist vertritt Neuköllns Linke künftig im Bundestag. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 25. Februar 2025]).
- ↑ Deniz Utlu: Das Haus deines Freundes. Brandanschlag in Berlin-Neukölln. In: tagesspiegel.de. Der Tagesspiegel, 2. Februar 2018, abgerufen am 26. Februar 2025.
- ↑ Ezidinnen aus Şengal zu Gesprächen in Berlin. In: ANF Deutsch. Abgerufen am 27. Februar 2025.
- ↑ Susanne Memarnia: Anschlag auf Kurden-Zentrum: Linke Kurden im Visier. In: Die Tageszeitung: taz. 7. Oktober 2024, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 27. Februar 2025]).
- ↑ a b Brandanschlag?: Zwei Polizeieinsätze bei kurdischem Zentrum in Berlin. In: tagesspiegel.de. Der Tagesspiegel, 7. Oktober 2024, abgerufen am 26. Februar 2025.
- ↑ a b Francis O’Connor: The Kurdish Movement in Turkey: Between Political Differentiation and Violent Confrontation. (pdf) 5. The Relationship between PKK and Kurdish Political Parties. In: Peace Research Institute Frankfurt. Leibniz Association, 1. Januar 2017, S. 12, 13, abgerufen am 26. Februar 2025.
- ↑ Susanne Memarnia: Linke Kurden im Visier. Anschlag auf Kurden-Zentrum. In: taz.de. Taz, die Tageszeitung Verlagsgenossenschaft, 7. Oktober 2024, abgerufen am 26. Februar 2025.
- ↑ a b Cem-Odos Güler, Frederik Eikmanns: Die Linke und der Nahost-Konflikt: Nun sag, wie hältst du es mit Gaza? In: Die Tageszeitung: taz. 22. Januar 2025, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 25. Februar 2025]).
- ↑ Nicholas Potter: RT-nahes Medium „Red“: Hybrider Krieg in Berlin. In: Die Tageszeitung: taz. 12. Oktober 2024, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 10. März 2025]).
- ↑ Zerbricht die Linkspartei an Israel/Palästina? 17. Oktober 2024, abgerufen am 24. Februar 2025.
- ↑ „Es wird mehr als einen Mord an Israelis brauchen“: Im Epizentrum der Hamas-Versteher der Berliner Linken. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 24. Februar 2025]).
- ↑ Len Sander: Jeremy Corbyn kommt zur Linken nach Neukölln: Hamas und Hisbollah nannte er seine „Freunde“. 4. Februar 2025, abgerufen am 25. Februar 2025.
- ↑ Len Sander,Elmar Schütze: Nach scharfer Kritik: Linke Neukölln sagt Veranstaltung mit umstrittenem Politiker Jeremy Corbyn ab. 6. Februar 2025, abgerufen am 25. Februar 2025.
- ↑ LiMA: Die Vorstandsmitglieder
Personendaten | |
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NAME | Koçak, Ferat |
ALTERNATIVNAMEN | Kocak, Ferat; Koçak, Ferat Ali (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (Die Linke), MdA |
GEBURTSDATUM | 26. Mai 1979 |
GEBURTSORT | Berlin |