Das fakultative Referendum ist eine spezielle Ausformung des Referendums und ein Instrument der direkten Demokratie. Es soll den Bürgern ermöglichen, in einer Volksabstimmung oder einem Volksentscheid über eine zuvor bereits in der gewählten politischen Vertretung beschlossene Vorlage abzustimmen. Damit das Stimmvolk ein fakultatives Referendum auslösen kann, ist die Sammlung einer bestimmten Zahl von Unterschriften Wahlberechtigter in einer festgelegten Frist nach Beschlussfassung nötig. Das fakultative Referendum kann auch als (Minderheiten-)Recht einer gewählten Vertretung ausgestaltet sein, mit dem eine festgelegte Zahl von Abgeordneten verlangen kann, dass eine bereits beschlossene Vorlage nachträglich dem Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt wird.
Vor allem in der Schweiz bildet das fakultative Referendum einen wesentlichen und wichtigen Baustein in der Verwirklichung der halbdirekten Demokratie. Es kann dort auf eidgenössischer Ebene vom Stimmvolk, aber auch von den Kantonen angestrengt werden. In Österreich ist auf Bundesebene und in den Ländern das Parlament zu einem fakultativen Referendum berechtigt. Darüber hinaus kennen die Bundesländern Burgenland, Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Vorarlberg auf Landesebene sowie auf Gemeindeebene die Bundesländer Burgenland, Vorarlberg und Steiermark auch ein durch das Stimmvolk herbeigeführte fakultative Referendum. In Deutschland besteht für die Bürgerinnen und Bürger nur in den Bundesländern Hamburg und Bremen und nur in eng begrenzten Fällen die Möglichkeit, getroffene Beschlüsse einem Volksentscheid zu unterziehen. Für gewählte Vertretungen besteht in Deutschland generell keine Möglichkeit ein fakultatives Referendum anzustreben.
Etymologie
Das deutsche Wort Referendum ist ein Fremdwort aus dem Lateinischen und setzt sich aus der Vorsilbe re „zurück“ und dem Verb ferre „tragen, bringen“ zusammen. In einem Referendum wird die Entscheidung über einen politischen Gegenstand also von der gewählten Vertretung (dem Parlament) zum Souverän (das Volk) „zurückgetragen“ bzw. „zurückgebracht“. Das Adjektiv fakultativ leitet sich vom lateinischen Substantiv facultas „Möglichkeit“ ab. Im heutigen Deutsch wird es gebraucht im Sinne von „bedarfsweise“, „wahlweise“ oder auch „nach eigenem Ermessen“.
In einem fakultativem Referendum wird also die Möglichkeit geschaffen, eine von der gewählten Vertretung (Parlament oder Regierung) getroffene Entscheidung bedarfsweise wieder dem Souverän (dem Volk) vorzulegen.
Schweiz
Verfahren
Nach Artikel 141 der Bundesverfassung von 1999 können 50.000 Stimmberechtigte oder acht Kantone innerhalb der Referendumsfrist von 100 Tagen nach der Veröffentlichung bestimmter vom Parlament verabschiedeter Beschlüsse eine Volksabstimmung über diesen Beschluss verlangen. Wird mit der Unterschriftensammlung begonnen, nennt man dies das Referendum ergreifen. Erst wenn die erforderliche Zahl von Unterschriften zusammengebracht wird, ist das Referendum zustande gekommen. Wird ein fakultatives Referendum von den Kantonen ergriffen, bezeichnet man es auch als Kantonsreferendum (diese Variante kam allerdings erst ein Mal seit Einführung 1874 vor).
Der Beschluss tritt daraufhin – mit Ausnahme der dringlichen Bundesgesetze – erst in Kraft, wenn er in der Volksabstimmung gebilligt worden ist. Bei dringlich erklärten Bundesgesetzen erfolgt eine allfällige Abstimmung nachträglich (abrogativ), also nachdem das Bundesgesetz bereits in Kraft getreten ist. Sonst erfolgt die Volksabstimmung über das fakultative Referendum immer vor dem Inkrafttreten (suspensives Referendum). Dringlich erklärte Bundesgesetze laufen nach einem allfällig negativen Volksentscheid ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung aus und können nicht mehr erneuert werden (Art. 165 Bundesverfassung).
In den Kantonen und Gemeinden kann das fakultative Referendum immer durch Unterschriftensammlung von Stimmberechtigten eingefordert werden, wobei jeweils entsprechend andere Vorgaben an die Zahl der nötigen Unterschriften und die anzuwendenden Fristen gelten. In einigen Kantonen gibt es auch das vom Kantonsreferendum abgeleitete Gemeindereferendum, bei dem eine bestimmte Anzahl von Gemeinden eine Volksabstimmung einfordern können.[1] In den meisten Kantonen und Gemeinden gibt es zusätzlich die Möglichkeit, dass eine in der Kantonsverfassung oder Gemeindeordnung festgesetzte Anzahl der jeweiligen Parlamentsmitglieder, zum Beispiel ein Viertel, oder, bei Gemeinden ohne Parlament, eine bestimmte Anzahl der an einer Gemeindeversammlung anwesenden Stimmberechtigten,[2] eine Volksabstimmung erzwingen können. In einem solchen Fall spricht man vom Behördenreferendum.
Referendumsfähige Beschlüsse
Dem fakultativen Referendum unterliegen folgende Arten von Beschlüssen:
- Bundesgesetze
- dringliche Bundesgesetze, deren Geltungsdauer ein Jahr übersteigt
- bestimmte gesetzlich definierte Arten von Bundesbeschlüssen
- bestimmte völkerrechtliche Verträge:
- unbefristete und unkündbare Beitritte zu internationalen Organisationen
- Verträge, die wichtige Recht setzende Bestimmungen enthalten bzw. deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.
Diese Bestimmungen gelten nur auf Bundesebene; in den Kantonen und Gemeinden existieren weitergehende Referendumsrechte, auch über Ausgaben der öffentlichen Hand (Finanzreferendum).
Abstimmung
Bei der Volksabstimmung zählt im Gegensatz zum obligatorischen Referendum nur das Volksmehr, die Mehrheit der Kantone (Ständemehr) ist hingegen nicht erforderlich. Wie bei allen Volksabstimmungen in der Schweiz entscheidet auch beim fakultativen Referendum stets die einfache Mehrheit, Quoren kommen somit nicht zur Anwendung.
Geschichte
Das Referendum verbreitete sich zuerst in den Kantonen (z. B. im Kanton Zürich seit 1869). Auf Bundesebene wurde das fakultative Referendum durch die Bundesverfassung von 1874 (Art. 74) eingeführt.
Die Ratifizierung des Gotthardvertrags aus dem Jahr 1909 hatte breite Proteste ausgelöst und schliesslich zur Eingabe einer Petition geführt. In der Volksabstimmung 1921 wurde daraufhin das fakultative Referendum für Staatsverträge eingeführt, die länger als 15 Jahre beziehungsweise für eine unbestimmte Zeit gelten.[3]
Die Zahl der nötigen Unterschriften von Schweizer Stimmbürgern für ein fakultatives Referendum betrug zunächst 30.000. Aufgrund der massiven Vermehrung der Stimmberechtigten durch Bevölkerungszuwachs und durch die Einführung des Frauenstimmrechts (1971) erhöhte man 1977 die Zahl auf 50.000 gültige Unterschriften.
In der Schweiz ist 2003 zum ersten und bislang einzigen Mal ein Kantonsreferendum zustande gekommen. Es bezog sich auf Änderungen in der Ehe- und Familien- sowie Wohnraumbesteuerung (sogenanntes „Steuerpaket“). Die bekämpfte Vorlage wurde in der Volksabstimmung vom 16. Mai 2004 abgelehnt.
Österreich
Auf Bundesebene kann ein fakultatives Referendum nur durch das Parlament eingeleitet werden und erfordert einen vorherigen Gesetzesbeschluss des Parlaments. Für bindende Volksabstimmungen über einfache Gesetze ist eine einfache Mehrheit der Abgeordneten erforderlich.[4] Bei Verfassungsgesetzen besteht das Minderheitsrecht eines Drittels der Abgeordneten, ein bindendes fakultatives Referendum einzuleiten,[5] was jedoch bislang noch nie genutzt wurde. Die Volksabstimmung vom 5. November 1978 über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf war das bisher einzige fakultative Referendum auf Bundesebene. Es hat sich eine knappe Mehrheit von 50,5 % mit einem Überhang von nur etwa 30.000 Stimmen gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf ausgesprochen.[6]
Auf Landesebene besteht in allen österreichischen Bundesländern die Möglichkeit eines fakultativen Referendums, wenn der Landtag eine solche Volksabstimmung beschliesst. In den fünf Bundesländern Burgenland,[7] Niederösterreich,[8] Steiermark,[9] Tirol[10] und Vorarlberg[11] kann eine Volksabstimmung über ein kundzumachendes Landesgesetz auch von einer bestimmten Anzahl von Bürgern innerhalb einer bestimmten Frist verlangt werden. In Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Vorarlberg kann auch eine bestimmte Anzahl an Gemeinden eine fakultative Volksabstimmung erzwingen.[12] Die bisherige Nutzung des fakultativen Referendums in Österreichs Bundesländern ist jedoch ernüchternd. Von Bürgern initiierte Volksabstimmungen gab es 1956 in Vorarlberg (Betriebsaktionenverbotsgesetz) und 1988 im Burgenland (Objektivierungsgesetz), die jeweils das vom Landtag beschlossene Gesetz verworfen haben. 1980 gab es in Vorarlberg eine vom Landtag beschlossene fakultative Volksabstimmung (Stärkung des Landes und der Gemeinden im Bundesstaat – „Pro Vorarlberg“), das eine Zustimmung zum Gesetzesbeschluss des Landtags brachte.[13]
Auf Gemeindeebene kennen alle Bundesländer ausser Niederösterreich, Oberösterreich und Tirol das Instrument der bindenden fakultativen Volksabstimmung für Angelegenheiten, die in den Bereich der Gemeindeautonomie fallen. In all diesen Bundesländern kann eine Volksabstimmung durch den Gemeinderat beschlossen werden, im Burgenland sowie in Salzburg und Vorarlberg auch durch den Bürgermeister.[14] Im Burgenland[15] und in Vorarlberg[16] hat eine Volksabstimmung auch auf Initiative von Bürgern bei entsprechender Unterstützung stattzufinden. In der Steiermark ist eine Volksabstimmung auch durchzuführen, wenn eine Initiative von Bürgern eine Unterstützung von 25 % erreicht und innerhalb eines Jahres nicht umgesetzt wird.[17]
Deutschland
In Deutschland besteht nur in den Bundesländern Hamburg und Bremen (nur für Privatisierungen) die Möglichkeit, ein fakultatives Referendum durchzuführen. In Hamburg ist dies jedoch nur für den speziellen Fall vorgesehen, wenn die Bürgerschaft ein vom Volk beschlossenes Gesetz oder das Wahlrecht ändert oder aufhebt. Dann können 2,5 % der Wahlberechtigten innerhalb von 3 Monaten einen Volksentscheid über das Änderungsgesetz verlangen. Dieses wurde dort 2008 als Folge der Volksinitiative „Für faire und verbindliche Volksentscheide – Mehr Demokratie“ eingeführt. Bisher ist dieses Instrument erst einmal bei der Änderung des Bezirksversammlungswahlrechts im Dezember 2013 zur Anwendung gekommen.
Siehe auch
Weblinks
- Mehr Demokratie e. V. – Fachverband für Direkte Demokratie (Deutschland)
- Initiative and Referendum Institute Europe
- mehr demokratie! - die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie (Österreich)
Fussnoten
- ↑ z. B. Art. 33, Abs. 2b der Verfassung des Kantons Zürich
- ↑ z. B. Art. 86, Abs. 3 der Verfassung des Kantons Zürich
- ↑ Gérard Benz: Gotthardvertrag. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ Artikel 43 Bundes-Verfassungsgesetz ( des vom 30. November 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Artikel 44 Absatz 3 Bundes-Verfassungsgesetz ( des vom 30. November 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Ergebnis der Volksabstimmung vom 5. November 1978
- ↑ Artikel 33 Burgenländisches Landes-Verfassungsgesetz ( des vom 24. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Artikel 27 Niederösterreichische Landesverfassung ( des vom 24. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Artikel 41 Steiermärkisches Landes-Verfassungsgesetz ( des vom 24. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Artikel 39 Tiroler Landesordnung ( des vom 9. November 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Artikel 35 Vorarlberger Landesverfassung ( des vom 24. Februar 2014 im Webarchiv archive.today) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Klaus Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden. Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann / Renger, Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Baden-Baden 2010, 36ff.
- ↑ Klaus Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden. Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann / Renger, Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Baden-Baden 2010, 44ff.
- ↑ Klaus Poier, Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden. Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann / Renger, Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009. Baden-Baden 2010, 48ff.
- ↑ § 54 Burgenländische Gemeindeordnung ( des vom 9. November 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ § 22 Vorarlberger Gesetz über die Gemeindeorganisation ( des vom 24. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ § 124 Steiermärkisches Volksrechtegesetz ( des vom 24. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.