Die Weltmeisterschaft des Weltschachbundes FIDE fand 2004 in der libyschen Hauptstadt Tripolis statt. Das Turnier war international stark umstritten, weil israelische Teilnehmer ausgeschlossen waren. Es war das letzte der fünf seit 1999 im K.-o.-Modus ausgetragenen Turniere unter den FIDE-Schachweltmeisterschaften 1993–2005. Gewinner war der Usbeke Rustam Kasimjanov, der den Briten Michael Adams im Tiebreak besiegte.
Vorgeschichte
Bereits 1976 wurde zeitgleich zur Schacholympiade in Haifa ein Mannschaftsturnier in Tripolis veranstaltet, an dem mehrere der Länder teilnahmen, welche die offizielle Olympiade boykottierten.
Nachdem die FIDE im Jahre 1984 die Austragung der Schacholympiade des Jahres 1986 nach Dubai vergeben hatte, weigerte sich der ausrichtende Schachverband der Vereinigten Arabischen Emirate, die israelische Mannschaft zur Olympiade einzuladen. Während die Olympiade ohne die israelische sowie weitere Mannschaften und einzelne Spieler stattfand, die der Veranstaltung aus Protest fernblieben, setzte die FIDE-Vollversammlung auf ihrem Kongress in Dubai zeitgleich zur laufenden Olympiade fest, dass in Zukunft die Ausrichter einer FIDE-Veranstaltung zur Gewährung von Visa für Teilnehmer aller Mitgliedsverbände verpflichtet sind. Ausnahmen hiervon sind nur bei Zustimmung von drei Vierteln der FIDE-Vollversammlung möglich. Auch bei der Schachweltmeisterschaft 2004 war eine Teilnahme aller Föderationen vorgesehen, wobei die Veranstaltung parallel in Libyen und auf der nahegelegenen Insel Malta ausgetragen werden sollte. Am 27. April 2004 teilte die FIDE jedoch mit, dass alle Partien in Tripolis stattfinden und alle Spieler ungeachtet ihrer Nationalität zugelassen würden.[1]
Am 6. Mai 2004 äußerte dagegen der Präsident des Libyschen Schachverbandes Mohammed al-Gaddafi, der älteste Sohn des Staatspräsidenten, auf einer Pressekonferenz, dass israelische Teilnehmer nicht eingeladen werden und bezeichnete diese als „zionistische Feinde“.[2] Mohammad Gaddafi ist Präsident des Libyschen Olympischen Komitees und leitete das Organisationskomitee des FIDE-Weltmeisterschaftsturniers in Libyen.
Diese Ankündigung rief eine Protestwelle innerhalb und außerhalb der Schachwelt hervor. Die FIDE bezeichnete Mohammad Gaddafis Aussage als ein Missverständnis und gab an, von libyscher Seite Garantien erhalten zu haben, dass die israelischen Spieler teilnehmen könnten.[1] Allerdings teilte die FIDE mit, dass Trainer und Begleitpersonen der Spieler sowie Journalisten nicht einreisen dürften, wenn sie einen israelischen Pass besäßen. Zudem würden Einreisevisa für die israelischen Spieler nicht durch die libyschen Botschaften, sondern erst bei der Ankunft auf dem Flughafen von Tripolis erteilt.
Im Falle des Fehlens vorliegender libyscher Visa oder ersatzweiser persönlicher Einladungen hätten sich allerdings die Fluggesellschaften geweigert, israelische Spieler am Startflughafen an Bord zu nehmen und zu befördern. Die generelle Versicherung des Präsidenten der FIDE, Kirsan Iljumschinow, dass die Israelis teilnehmen könnten, hätte den Airlines nicht ausgereicht.[3]
Am 13. Mai 2004 protestiert die Anti Defamation League in einem offenen Brief an die FIDE gegen diese Ungleichbehandlung und die Vergabe der Weltmeisterschaft an Libyen und appellierte an die FIDE, entweder für gleiche und sichere Bedingungen der israelischen Teilnehmer zu sorgen oder andere Austragungsorte zu suchen. Am gleichen Tag schlug der US-amerikanische Großmeister Yasser Seirawan in einem Brief an die FIDE vor, den Plan der parallelen Ausrichtung in Tripolis und auf Malta wieder aufzugreifen und für faire Spielbedingungen zu sorgen.[4] Die Forderung nach einer parallelen Ausrichtung in Tripolis und Malta wurde öffentlich auch von den Schachverbänden der USA, Russlands und Israels sowie einzelnen Teilnehmern wie Boris Gulko erhoben.[5] In einem offenen Brief an den amtierenden FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomarjow berichtete Seirawan am 23. Mai 2004 von seinem Appell an die FIDE, auf den er keine Antwort erhalten habe.
Einen weiteren offenen Brief an die FIDE veröffentlichte die Vereinigung der Berufsschachspieler (Association of Chess Professionals, ACP) am 26. Mai 2004, in dem sie gegen die ungleichen Bedingungen für israelische Spieler protestierte und die FIDE aufforderte, die Liste der Teilnehmer zu veröffentlichen sowie eine schriftliche Garantie der libyschen Regierung vorzulegen, dass den israelischen Spielern bei ihrer Ankunft in Tripolis Einreisevisa gewährt würden.[4]
Die FIDE reagierte am 28. Mai 2004 mit der Veröffentlichung einer Liste der vorgesehenen 128 Teilnehmer, die keine israelischen Spieler enthielt.
In einem offenen Antwortbrief an die ACP verwies Iljumschinow am 8. Juni 2004 auf die „Bedeutung der Ausrichtung der Schachweltmeisterschaft“ für die Öffnung Libyens zur „internationalen Gemeinschaft“.[6]
Von den nominierten Spielern traten 13 nicht zum Turnier an, unter ihnen viele der US-amerikanischen Spieler. Die Spieler mit einem israelischen Pass, von denen eine Reihe eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt und für andere Schachföderationen antritt, weigerten sich zum größten Teil, ihre Verträge mit der FIDE zu unterzeichnen. Ein weiterer Grund für Absagen war ein umstrittener Vertrag der FIDE, der die Teilnehmer im Ungewissen über eine Vergütung ihrer Spesen ließ.
Kurz vor Beginn des Turnieres kündigte der israelische Schachverband eine Klage gegen Libyen auf Schadensersatz wegen des Ausschlusses der Spieler mit israelischem Pass an. Dagegen äußerte der stellvertretende Präsident der FIDE Georgios Makropoulos, die israelischen Spieler hätten sich selbst dagegen entschieden, an dem Turnier teilzunehmen.[7]
Der Schweizer Spieler Vadim Milov, der zugleich israelischer Staatsbürger ist, hatte zunächst vor teilzunehmen. Milov erhielt seine offizielle Einladung erst am 18. Juni, dem Tag der Eröffnungszeremonie. Er hätte erst am Vormittag des folgenden Tages anreisen können und um drei Uhr nachmittags die erste Runde spielen müssen. Da Milov diese Bedingungen nicht für zumutbar hielt, reiste er nicht an.
Schließlich verklagte Milov mit Unterstützung einer Reihe von Großmeistern und Schachföderationen im Februar 2005 die FIDE vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne auf Schadensersatz. Das Gericht wies die Klage allerdings ab.[1]
Finanzierung
Der Ausrichter Libyen zahlte eine Summe von 2,2 Mio. US-$. Von diesen flossen 1,5 Mio. US-$ in den Preisfonds, von dem die FIDE 300.000 US-$ erhielt. Die restlichen 700.000 US-$ erhielt die FIDE zur Organisation des Turnieres.[1] Der Gewinner erhielt 80.000 US-Dollar.
Turnierbedingungen
Das Turnier fand vom 18. Juni bis 13. Juli 2004 im Almahary-Hotel statt. Die FIDE verwendete erneut die verkürzte Bedenkzeit, die nach heftigen Protesten nach dem Turnier abgeschafft wurde. Auch wurden die ersten fünf Runden mit anfangs nur zwei Partien sehr zügig gespielt. Das Halbfinale ging über vier Partien, das Finale über sechs. Zeitkontrollen waren nach neunzig Minuten für 40 Züge, danach gab es einen Aufschlag von 15 Minuten und von Anfang an 30 Sekunden pro Zug. Im Falle eines Gleichstandes entschieden wieder Tiebreaks über das Weiterkommen. Zuerst wurden zwei Schnellpartien mit 25 Minuten Bedenkzeit und zehn Sekunden Aufschlag pro Zug gespielt, nach einem erneuten Unentschieden wären zwei Partien über fünf Minuten und 10 Sekunden pro Zug gespielt worden; falls es danach immer noch unentschieden gestanden hätte, wäre eine letzte Partie gespielt worden, bei der Weiß sechs Minuten auf der Uhr gehabt hätte und Schwarz fünf. Weiß hätte aber unbedingt gewinnen müssen, bei einem Remis wäre Schwarz weiter gewesen.
Teilnehmer
Das Turnier begann schließlich mit 124 Teilnehmern, von denen nur zwei zu den ersten 10 der Elo-Weltrangliste gehörten. Die Spieler mit eingerückten Namen waren am 28. Mai 2004 als Teilnehmer vorgesehen, nahmen aber nicht teil. Morosewitsch, Milov, Hjartarson und Shulman wurden offiziell von den Veranstaltern zur ersten Runde erwartet, reisten aber nicht an, so dass ihre Gegner kampflos gewannen. Wojtkiewicz, García Palermo und González García sind nach dem 28. Mai 2004 zusätzlich nominiert worden.
- Wesselin Topalow 2737
- Michael Adams 2731
- Alexander Grischuk 2719
- Wassyl Iwantschuk 2716
- Nigel Short 2712
- Wladimir Malachow 2695
- Liviu-Dieter Nisipeanu 2692
- Ivan Sokolov 2690
- Alexei Drejew 2689
- Wladimir Hakobjan 2689
- Ye Jiangchuan 2681
- Vadim Milov 2680
- Surab Asmaiparaschwili 2679
- Étienne Bacrot 2675
- Michail Gurewitsch 2672
- Sergei Rubljowski 2671
- Teymur Rəcəbov, 2670
- Aljaksej Aljaksandrau 2668
- Alexander Beliavsky 2667
- Francisco Vallejo Pons 2666
- Viorel Bologan 2665
- Konstantin Sakajew 2665
- K. Sasikiran 2659
- Şəhriyar Məmmədyarov 2657
- Alexander Graf 2656
- Wadim Swjaginzew 2654
- Rustam Kasimjanov 2652
- Alexander Onischuk 2652
- Loek van Wely 2651
- Alexander Motyljow 2649
- Giovanni Vescovi 2648
- Predrag Nikolic 2648
- Sergej Movsesjan 2647
- Lewon Aronjan 2645
- Jóhann Hjartarson 2640
- Waleri Filippow 2639
- Rafael Waganjan 2639
- Kiril Georgiew 2637
- Vladislav Tkachiev 2635
- Smbat Lputjan 2634
- Zhang Zhong 2633
- Bartłomiej Macieja 2633
- Oleksandr Mojissejenko 2631
- Zoltán Almási 2631
- Michail Kobalija 2630
- Sergei Wolkow 2629
- Peter Heine Nielsen 2628
- Viorel Iordăchescu 2627
- Zdenko Kožul 2627
- Darmen Sadwakasow 2626
- Alexander Shabalov 2624
- Alexander Lastin 2622
- Bu Xiangzhi 2621
- Jewgeni Wladimirow 2621
- Jewgeni Alexejew 2616
- Baadur Dschobawa 2616
- Rustem Dautov 2616
- Gabriel Sarkissjan 2614
- Leinier Domínguez 2612
- Michał Krasenkow 2609
- Xu Jun 2608
- Vasilios Kotronias 2607
- Karen Asrian 2605
- Lazaro Bruzon 2602
- Alexandar Deltschew 2602
- Alexander Galkin 2602
- Pawel Smirnow 2601
- Evgeny Agrest 2601
- Boris Gulko 2600
- Giorgi Katscheischwili 2600
- Pentala Harikrishna 2599
- Gilberto Milos 2599
- Ernesto Inarkiew 2595
- Sergey Tiviakov 2593
- Andrei Charlow 2593
- Rubén Felgaer 2592
- Utut Adianto 2591
- Ni Hua 2587
- Aschot Anastassjan 2587
- Robert Kempinski 2586
- Pawel Kozur 2586
- Đào Thiên Hải 2583
- Iván Morovic 2583
- Surya Shekhar Ganguly 2582
- Hikaru Nakamura 2580
- Sergei Karjakin 2580
- Muhammad al-Mudiyahki 2579
- Sergei Dolmatow 2573
- Sarunas Sulskis 2570
- Rafael Leitão 2564
- Merab Gagunaschwili 2562
- Yury Shulman 2559
- Aleksander Wojtkiewicz
- Ehsan Ghaem Maghami 2558
- Daniel Cámpora 2557
- Sergey Kudrin 2557
- Magnus Carlsen 2552
- Konstantin Landa 2550
- Péter Ács 2548
- Qədir Hüseynov 2548
- Hicham Hamdouchi 2544
- Alexander Ivanov 2544
- Alejandro Ramírez 2542
- Darcy Lima 2542
- Dibyendu Barua 2539
- Valeri Neverov 2537
- Leonid Kritz 2534
- Dimitrios Mastrovasilis 2533
- Mark Paragua 2529
- Rodrigo Vásquez 2523
- Alexei Barsov 2507
- Essam El Gindy 2507
- Mateusz Bartel 2501
- Ahmed Adly 2490
- Darryl Johansen 2489
- Pascal Charbonneau 2484
- Morteza Mahjoub 2478
- Carlos García Palermo 2444
- José González García 2443
- Das Neelotpal 2457
- Mohamed Tissir 2442
- Amon Simutowe 2442
- Ronald Dableo 2426
- Kıvanç Haznedaroğlu 2395
- Hameed Ali Kadhi 2379
- Adlane Arab 2374
- Kenny Solomon 2352
- Hussein Asabri 2277
- Abobker Elarbi 2257
- Tarik Abulhul 2076
Ergebnis
Das Turnier endete mit einer Überraschung, als sich der Usbeke Rustam Kasimjanov den Titel holte. Er besiegte den Briten Michael Adams im Finale mit 1,5:0,5 in zwei fällig gewordenen 25-Minuten-Partien, nachdem es nach sechs Partien mit langer Bedenkzeit 3:3 stand.
Geplant war, dass der Sieger des Turnieres gegen den Weltranglistenersten Kasparow einen Vereinigungskampf spielt. Dieser fand jedoch auf Grund von Unstimmigkeiten nicht statt.
Weblinks
- Mark Weeks: World Chess Championship 2004 FIDE Knockout Matches, Ergebnisse, (englisch)
- Boris Schipkow: The World Chess Championship 2004 auf Chess Siberia, Ergebnisse und Rundenberichte, (englisch)
- FIDE World Championship Knockout, 2004 auf Chessgames.com, (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Vadim Milov: Open letter by GM Vadim Milov, 9. August 2005 auf Chessbase.com
- ↑ „Wir haben und werden die zionistischen Feinde nicht zu dieser Meisterschaft einladen… Wir wissen, dass die Zionisten solche Gelegenheiten ergreifen werden, um in die arabische Gesellschaft zu gelangen… aber wir werden unsere Prinzipien nicht aufgeben, auch wenn das zur Absage der Austragung des gesamten Turnieres in Libyen führt“ („We did not and will not invite the Zionist enemies to this championship… We know the Zionists will seize such occasions to enter the Arab society… but we will not give up our principles even if that leads to canceling holding the tournament in Libya“), Mohammad Gaddafi laut Associated Press, 6. Mai 2004, hier zitiert nach Boris Gulko: An Open Letter to the President of FIDE, Mr. Kirsan Ilyumzhinov, Chessbase.com, 14. Mai 2004
- ↑ René Gralla: Interview mit Almog Burstein,Neues Deutschland, 3. Juli 2004 nach Chessbase.com
- ↑ a b ACP: Open Letter from the ACP to FIDE President, Mr Kirsan Ilyumzhinov, 26. Mai 2004 auf Chessbase.com
- ↑ World Chess Politics – a review, Chessbase.com, 14. Mai 2004
- ↑ „Ich bin etwas überrascht, dass Sie nicht erkennen, welche Bedeutung die Ausrichtung der Schachweltmeisterschaft in Libyen besitzt, zu einer Zeit, in der das Land sich der internationalen Gemeinschaft öffnet auf eine Weise, die von vielen Führern der Welt gewürdigt worden ist.“ (“I am somewhat surprised that you don’t see the importance of having the World Chess Championship in Libya, during the time when the country is opening up to the international community in a way that has been widely appreciated by many top leaders of the world.”), Kirsan Iljumschinow, FIDE answer to the ACP ( vom 1. Mai 2005 im Internet Archive), offener Brief vom 8. Juni 2004 auf Fide.com
- ↑ Israeli chess body wants to sue Libya over ban, Jerusalem Post, 17. Juni 2004, nach Chessbase.com