Die Ernährungswissenschaft (seltener, veraltet Trophologie) ist eine Naturwissenschaft, die sich mit den Grundlagen, der Zusammensetzung und der Wirkung der Ernährung befasst. Sie ist zwischen den Fächern Medizin und Biochemie angesiedelt.
Geschichte
Bevor sich die Ernährungswissenschaft als eigenständige Lehr- und Studienrichtung herausbildete, arbeiteten hauptsächlich Chemiker auf diesem Gebiet. Es wurde die chemische Zusammensetzung der Nahrung untersucht. Als Hauptbestandteile der menschlichen Ernährung galten seit dem 19. Jahrhundert Protein, Fett, Kohlenhydrate, sowie einige Mineralstoffe, die zum Beispiel von Justus von Liebig oder Sydney Ringer als notwendig für Aufbau und Funktion von Organen erkannt wurden. Die Qualität der Ernährung wurde bis zur Entdeckung der Vitamine und Vitalstoffe ausschließlich an der Zufuhr von Nahrungsenergie gemessen.
Die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts bezeichnet der Wissenschaftler und Historiker Kenneth John Carpenter als „die Vitamin-Ära“.[1] Das erste Vitamin wurde im Jahr 1926 isoliert und chemisch definiert (Thiamin). 1932 folgte die Isolierung von Vitamin C und seine gesundheitliche Rolle, die Unterstützung gegen Skorbut, wurde erstmals wissenschaftlich dokumentiert.[2]
An der Universität London wurden auf Betreiben des britischen Physiologen John Yudkin in den 1950er Jahren die Abschlüsse Bachelor of Science und Master of Science in Ernährungswissenschaft geschaffen.
In Deutschland wurde mit einem Erlass des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung am 23. Februar 1951 an der Hochschule Gießen das erste eigenständige „Institut für Ernährungswissenschaft“ mit angeschlossener hauswirtschaftlicher Abteilung eingerichtet. Dem folgten jedoch Querelen mit gerichtlichem Nachspiel. Auf Vorschlag der Akademie für medizinische Forschung und Fortbildung wurde Karl Heinz Wagner als zunächst kommissarischer Leiter eingesetzt. Er sei ganz besonders – wenn nicht gar einzigartig – für die Aufgaben geeignet. Wagner war unter Arthur Scheunert am Aufbau der Reichsanstalt für Vitaminforschung und Vitaminprüfung beteiligt gewesen und war 1945 zusammen mit dem Team um Scheunert von amerikanischen Truppen aus Leipzig nach Weilburg/Lahn zwangsevakuiert worden.[3][4] Er hatte seit 1946 einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt und ab 1950 einen Lehrauftrag an der Medizinischen Akademie der Hochschule Gießen. Gegen seine Ernennung als apl. Professor und Beamter auf Lebenszeit legten jedoch die Akademie und die Hochschulleitung Protest beim Ministerium ein, weil sie für die Ernährungswissenschaft keinen eigenständigen Lehrstuhl, sondern eine interfakultative „Diätendozentur“ für das Fach vorzogen. Außerdem gäbe es nun auch Einwände wegen menschlichen Fehlverhaltens und darüber, dass seine bisherigen Arbeiten nicht sehr breit gefächert gewesen seien. Als Wagners Ernennung per Kabinettsbeschluss zurückgezogen wurde, klagte der vor dem Verwaltungsgerichtshof Wiesbaden, wo die Klage am 23. April 1956 abgewiesen wurde. Zwei Tage später trafen sich Helene von Bila und Hans-Diedrich Cremer um über dessen Berufung bzw. Übernahme des Lehrstuhls zu verhandeln. Cremer übernahm die Leitung des Instituts am 1. November 1956. Wagners Berufung gegen das Wiesbadener Urteil wurde durch den Verwaltungsgerichtshof Kassel stattgegeben und am 19. Februar 1960 entschieden, dass seine frühere Berufung auf den Lehrstuhl aufgrund der gegebenen Besonderheiten nicht widerrufen werden könne und er -notfalls in einem zweiten Institut für Ernährungswissenschaft- seine Forschungen fortzuführen habe. Die auf der neu ausgestellten Ernennungsurkunde zunächst angegebene Bezeichnung „Institut für menschliche Ernährungslehre“ lehnte Wagner ab, weil sie eine Einschränkung bedeute und bestand auf der Bezeichnung „Institut für Ernährungswissenschaft“ wie im Urteil angeführt. So gab es in der Folge ein entsprechendes Institut I (Cremer) und II (Wagner).[5][6] Der zunächst an der Akademie für Medizinische Forschung und Fortbildung angesiedelte Lehrstuhl, ging bei der Wiedereröffnung der Justus-Liebig-Universität in die Humanmedizinische Fakultät über. Wagners Institut wurde nach Emeritierung seines Leiters (31. März 1979) aufgelöst.[7] Im Laufe der Zeit folgten sieben weitere Universitäten mit ähnlichen Einrichtungen.[8]
Abgrenzung
Im Unterschied zur kombinierten Haushalts- und Ernährungswissenschaft (Ökotrophologie) untersucht die Ernährungswissenschaft mit rein naturwissenschaftlichen Methoden die Vorgänge bei der Ernährung, der Verdauung und beim Stoffwechsel, insbesondere des Menschen, aber auch der Pflanzen und Tiere.
Studium und Forschung
Ernährungswissenschaft wird an Hochschulen weltweit als Studienfach angeboten. Zu Beginn des Studiums stehen vor allem die Grundlagenfächer Biologie, Chemie, Mathematik und Physik auf dem Studienplan. Später geht es um die Bereiche anorganische Chemie, funktionelle Biologie, Biochemie und Genetik. An den meisten Hochschulen kann man sich im Laufe des Studiums auf bestimmte Teilbereiche spezialisieren. Dabei geht es um Fächer wie Spezielle Lebensmittelchemie, Ernährungsphysiologie, Lebensmittelrecht und Ernährungsmedizin. Studierende, die sich eher für den wirtschaftlichen Aspekt interessieren, spezialisieren sich meist auf den Bereich Produktionstechnik. An den meisten Hochschulen stehen zudem Laborübungen auf dem Studienplan. Besonders bei Fächern wie Mikrobiologie oder Experimentalphysik ist es wichtig, dass die Studierenden ihr erlerntes Wissen auch praktisch anwenden können.
Ein Studium der Ernährungswissenschaften ist in Deutschland an folgenden Universitäten und Fachhochschulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Fachrichtungen möglich:
- Technische Universität Berlin
- Universität Bonn
- Hochschule Fulda
- Universität Gießen
- Universität Halle-Wittenberg
- Universität Hohenheim
- Universität Jena
- Universität Kiel
- Universität zu Lübeck
- Leibniz Universität Hannover
- TU München
- Universität Potsdam, angeschlossen: Deutsches Institut für Ernährungsforschung
- Hochschule Albstadt-Sigmaringen
- Hochschule Anhalt
- Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
- Fachhochschule Münster
- Hochschule Niederrhein
- Hochschule Rhein-Waal
- Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Im Wintersemester 2012/2013 waren laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 9505 Studierende in Bachelor- und Masterstudiengänge des Bereichs Ernährungs- und Haushaltswissenschaften eingeschrieben. Im Vergleich zum Vorjahr lässt sich ein leichter Zuwachs von 2,5 Prozent erkennen. 28,4 Prozent dieser Studenten befanden sich im ersten Fachsemester. Beachtlich ist der hohe weibliche Anteil unter der Studentenschaft. Nur 16,2 Prozent der Studenten sind männlich. Der Anteil der ausländischen Studierenden liegt mit 592 Studenten bei 6,2 Prozent.
Ein Studium der Ernährungswissenschaften ist in Österreich an der Universität Wien möglich.
Berufsfeld
Studienabsolventen können Prozesse in der Ernährungs- und Versorgungswirtschaft planen und lenken, in Ernährungsfragen beraten, Verbraucherinformationen vermitteln, Lebensmittel, Geräte und Herstellverfahren entwickeln und beurteilen und im Marketing einschlägiger Produkte und Dienstleistungen tätig werden. Zahlreiche Ernährungswissenschaftler sind außerdem in Krankenhäusern oder in der pharmazeutischen Industrie tätig.
Bekannte Ernährungswissenschaftler
Deutschland
- Hans Adalbert Schweigart (1900–1972)
- Hans-Diedrich Cremer (1910–1995)
- Gertrud Rehner (1926–2019)
- Heinrich Kasper (* 1932)
- Claus Leitzmann (* 1933)
- Bernhardine Joosten (* 1935)
- Volker Pudel (1944–2009)
- Hans Konrad Biesalski (* 1949)
- Hannelore Daniel (* 1954)
- Wolfgang Feil (* 1959)
- Stephan Lück (* 1967)
Großbritannien
Siehe auch
Literatur
- Ibrahim Elmadfa, Claus Leitzmann: Ernährung des Menschen. 4. Auflage. Ulmer, Stuttgart 2004, ISBN 3-8252-8036-5.
- Christian Rummel: Ragnar Berg. Leben und Werk des schwedischen Ernährungsforschers und Begründers der basischen Kost. Mit einem Vorwort von Gundolf Keil. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main/Bern/Wien/Oxford/New York 2003 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe VII, Abteilung B: Geschichte der Medizin. Band 10). Zugleich Medizinische Dissertation Dresden 2001, passim.
Weblinks
- Society of Nutrition and Food Science e. V., Wissenschaftsorganisation für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler
- Greenpilot: Die virtuelle Fachbibliothek für Ernährung, Umwelt und Agrar
- Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen (2012), Statistisches Bundesamt
- 68. Studierende der Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften (o. J.), Statistisches Bundesamt
- BerufsVerband Oecotrophologie e. V. (VDOE). Berufsständische Vertretung der Ernährungswissenschaftler in Deutschland
Einzelnachweise
- ↑ Kenneth J. Carpenter (1. Oktober 2003): A Short History of Nutritional Science: Part 3 (1912–1944). In: The Journal of Nutrition, Vol. 133, Ausg. 10, S. 3023–3032, doi:10.1093/jn/133.10.3023
- ↑ Dariush Mozaffarian, Irwin Rosenberg, Ricardo Uauy (13. Juni 2018): History of modern nutrition science—implications for current research, dietary guidelines, and food policy. In: BMJ 2018; 361. doi:10.1136/bmj.k2392
- ↑ Roland Thimme: Carl Arthur Scheunert. Ein Naturwissenschaftler im nationalsozialistischen und im real-sozialistischen Herrschaftssystem. Zeitschr. für Geschichtswiss. 59 (2012) S. 5–27
- ↑ Hans Georg Joost: Carl Arthur Scheunerts Ernährungsversuche am Menschen 1938–1943: Grenzüberschreitungen eines Wissenschaftlers im Nationalsozialismus. Medizinihist. Journal 47: Nr. 4 (2012) 296–334
- ↑ Hochschulnachrichten. Gießen. Deutsche Stomatologie 1 (1951) 24; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HHStAW 504-12560 (Institut für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen), HHStAW 502-1483 (Karl-Heinz Wagner, Korrespondenz) und HHStAW 527-II-23224 (Wagner, Karl-Heinz)
- ↑ H. D. Cremer: Zehn Jahre Institut für Ernährungswissenschaft in Giessen – Rückblick und Ausblick. in: Zehn Jahre Institut für Ernährungswissenschaft: 1957–1967. Universitätsdruckerei Gießen, 1967.
- ↑ Wilhelm Stelte: Der Schwermetallgehalt von Dosensuppen in Abhängigkeit von der Lagerungsdauer. Institut für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, 1981, S. 29
- ↑ Gertrud Rehner: 50 Jahre Institut für Ernährungswissenschaft in Gießen – Ein Rückblick. In: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen (Hrsg.): Spiegel der Forschung. 24. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2007, S. 26–30.