Politische Geschichte oder Politikgeschichte ist eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, die den Staat und die politisch handelnden Personen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellt. Teils wurde in der älteren Forschung auch (allerdings eher abwertend) der Begriff Ereignisgeschichte benutzt. In der neueren Forschung ist die politische Geschichte um neue Methoden und Fragestellungen erweitert worden.
In der historistischen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war die politische Geschichte die vorherrschende Forschungsrichtung. Die Entwicklungen in der Gesellschaft und der Kultur werden dabei meistens eher sekundär berücksichtigt. Handlungen von Staatsmännern und Regierungen, Diplomatie und Internationale Beziehungen, Kriege und Schlachten waren damit die grundlegenden Themen der politischen Geschichte.
Eine Ausnahme bildete zuerst die von Karl Lamprecht ausgehende Konzeption der Kulturgeschichte. Lamprechts Konzeption einer Universalgeschichte, mit seiner Periodisierung nach den Kulturzeitaltern, wird Ende des 19. Jahrhunderts von den wichtigsten deutschen Historikern entschieden bekämpft. Neben methodischen Einwendungen, wie sie im sogenannten Methodenstreit der Geschichtswissenschaft u. a. von Georg von Below, Max Lenz und Felix Rachfahl gemacht werden, ist es die Priorität, die von den „Neorankeanern“ favorisierte Auffassung, dass die politische oder Staatengeschichte gegenüber der Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte den Primat haben müsse.
Im 20. Jahrhundert machten verschiedene Strömungen der klassischen Politikgeschichte ihre Vorrangstellung streitig, darunter die französische Annales-Schule seit den 1930er Jahren, die westdeutsche Strukturgeschichte der 1950er, die Historische Sozialwissenschaft seit den 1970er Jahren und die neue Kulturgeschichte (New Cultural History) seit den 1990ern. Der Begriff „Ereignisgeschichte“ (franz. histoire événementielle) wurde von Historikern der Annales-Schule abwertend benutzt, um sich von der „klassischen“ Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts abzusetzen.
In die neuere Forschung sind jedoch verschiedene Aspekte dieser Kritikrichtungen eingeflossen und haben zu einer „Neuen Politikgeschichte“ geführt. In der modernen Geschichtswissenschaft wird die Notwendigkeit der Politikgeschichte kaum mehr bestritten; vielmehr scheint sie wieder, um neue Fragestellungen und Methoden teils erheblich erweitert, Attraktivität zu gewinnen.[1]
In der neueren deutschen Forschung hat die Methodik der sogenannten Kulturgeschichte des Politischen bzw. der Politik großes Interesse erregt und wird intensiv diskutiert.[2] Hierbei werden sowohl das politische Handeln als auch die sozialen und kulturellen Voraussetzungen dafür betrachtet. In diesem Rahmen wird versucht, alle Felder des Politischen zu erfassen, wobei kultur- und sozialgeschichtliche Forschungsansätze rezipiert werden: So wird politisches Handeln auch als soziales Handeln interpretiert und symbolisches Handeln berücksichtigt. Allerdings besteht noch keine Einigkeit hinsichtlich der Definition.[3]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Peter Borowsky/Rainer Nicolaysen: Politische Geschichte. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs. Reinbek 2007 (3. Aufl.), S. 527–540.
- Christoph Cornelißen: Politische Geschichte. In: Christoph Cornelißen (Hrsg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. Frankfurt 2009 (4. Aufl.), S. 133–148.
- Heinz Duchhardt: Politische Geschichte. In: Michael Maurer (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften in sieben Bänden. Bd. 3, Sektoren. Stuttgart 2004, S. 14–71.
- Ute Frevert: Neue Politikgeschichte. In: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hrsg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2006 (2. Aufl.), S. 152–164.
- Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.): Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung. Frankfurt / New York 2005.
- Michael Gal: Internationale Politikgeschichte. Alte und neue Wege. In: Archiv für Kulturgeschichte. 2017, 99 (1), S. 157–198 (online).
- Michael Gal: Internationale Politikgeschichte. Konzeption – Grundlagen – Aspekte. Dresden/München 2021 (2. Aufl.).
- Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.): Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. München 2007.
- Hans Mommsen: Politische Geschichte. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 1997 (5. Aufl.), S. 197–200.
- Rudolf Schlögl: Politik- und Verfassungsgeschichte. In: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hrsg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2006 (2. Aufl.), S. 95–111.
- Luise Schorn-Schütte: Historische Politikforschung. Eine Einführung. München 2006.
- Hans-Ulrich Thamer: Politische Geschichte, Geschichte der internationalen Beziehungen. In: Richard van Dülmen (Hrsg.): Das Fischer Lexikon Geschichte. Frankfurt 2003 (3. Aufl.), S. 38–55.
- Siegfried Weichlein: Politische Geschichte. In: Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart 2010, S. 238–241.
- Tobias Weidner: Die Geschichte des Politischen in der Diskussion. Göttingen 2012.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Heidi Mehrkens: Tagungsbericht New Approaches to Political History. Writing British and German Contemporary History. 7. September 2009 – 12. September 2009, London. In: H-Soz-u-Kult, 19. März 2010.
- Thomas Mergel: Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22. Oktober 2012
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Vgl. Ute Frevert, Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.): Neue Politikgeschichte: Perspektiven einer historischen Politikforschung. Frankfurt a. M. 2005, S. 7ff.
- ↑ Überblicke mit weiterer Literatur: Thomas Mergel, Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte; Tobias Weidner: Die Geschichte des Politischen in der Diskussion. Göttingen 2012.
- ↑ Vgl. einführend auch Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005.