Die Blattmaske (engl. green man, Grüner Mann) ist zumeist ein skulpturales Detail in der Architektur, das als Archetyp auftritt. Das Bauornament ist ein Gesicht, dessen Behaarung von akanthusartigen Blattformen gebildet wird, es kann jedoch auch ausschließlich aus Blättern zusammengesetzt sein und dadurch nur die Illusion eines Gesichts hervorrufen. Die Blattmaske ist seit römischer Zeit (1. Jahrhundert v. Chr.) nachgewiesen und findet in Deutschland ihren bekanntesten Ausdruck im rechten Konsolstein des Bamberger Reiters. Aus dieser Zeit (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) sind auch zeichnerische Darstellungen beider Varianten im Bauhüttenbuch von Villard de Honnecourt erhalten[1]. Blattmasken sind bis in die Renaissance zu finden und leben in der französischen und deutschen Romantik wieder auf. Sie treten hingegen in der Barockzeit und in der Zeit des Manierismus nur noch selten auf.
Blattmasken finden sich an Konsolen, Kapitellen, Schlusssteinen und Agraffen, aber auch in Chorgestühlen und in Handschriften im Mittelalter.
Zuordnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Da Blattmasken durchgängig eine eigene Charakteristik aufweisen, werden sie in der Kunstgeschichte und in der Architekturgeschichte herangezogen, um bestimmte Künstler oder Strömungen zu identifizieren. So wird die Blattmaske als Wimpergfüllung im Kölner Dom herangezogen, um im Vergleich mit Schwäbisch Gmünd einen Bezug der beiden Bauhütten herzustellen. Die Kölner Blattmasken sind ein wichtiger Hinweis, dass der Gmünder Baumeister Heinrich I. Parler vorher in Köln tätig war. Gebräuchlich sind vier Kategorien, um Blattmasken zu differenzieren:
- Speiende – pflanzliches tritt aus Mund aus oder ein
- Ausscheidende – pflanzliches wächst aus Auge, Nase, Ohr und Haut.
- Grüner Mann engl. Green Man – Gesicht erscheint in einer Blätteransammlung
- Blattgesicht – Gesicht wird aus Blättern gebildet[2]
Die Kategorien finden Anwendung in der zeitlichen Zuordnung der Baustile in Sakralbauten. Bis ins 13. Jahrhundert werden häufig humane und vegetabile Formen miteinander kombiniert jedoch klar unterschieden. In der Gotik treten Blätter nicht nur zu den Köpfen hinzu, sondern die Gesichter werden selbst aus Blättern geformt. Darüber hinaus werden die Pflanzendarstellungen, die in der Romanik meist noch stilisiert waren, nun botanisch bestimmbar.[3]
Galerie speiende und ausscheidende in Deutschland
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Burg Schlosseck, Portal um 1200
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Bartholomäuskirche Markgröningen, Chor gegenüber Sakristei, um 1450
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Erfurt Predigerkirche, gotisches Kapitell
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Erfurter Dom, um 1400
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Kloster Maulbronn, Nordflügel des Kreuzgangs, Schlussstein (um 1300/10)
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Kloster Maulbronn, Nordflügel des Kreuzgangs
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Konstanz, Kreuzgang des Münsters Unserer Lieben Frau, um 1300
Galerie Blattgesicht in Deutschland
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Markgröningen, Spitalkirche, Chor, Sediliennische, um 1289
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Ulm Münster, Gerichtsportal
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Schwäbisch Gmünd, Heilig-Kreuz-Münster, Kragstein
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anne Duden greift die Symbolik der floralen Männergesichter an und in sakralen Bauten auf, um die Geschlechterspannung im historischen Kontext mit der Figur der männlichen Medusa zu konfrontieren. Dem in Stein gemeißelten Haupt wird von Duden eine apotropäische Wirkung attestiert, dadurch, dass, wie von Freud postuliert, was Angst auslöst zur Abwehr eingesetzt wird.[4]
Wolfgang Metternich weist in seiner Publikation Teufel, Geister und Dämonen. Das Unheimliche in der Kunst des Mittelalters auf eine mögliche religiöse Subkultur in den Blattmasken hin. Da für die Gläubigen christliche Heilige nicht zur Verfügung standen, sollen die Bildhauer heidnische Motive verwendet haben um ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen. Zitat:
Obwohl offiziell verfemt, hielten die Naturgeister und Dämonen Einzug in die christliche Welt, wurden in Traktaten ausführlich behandelt und abgebildet und fanden ihren Platz an Kirchen, Klöstern und Kathedralen.
Eine in den Baum hineingelegte Verwandtschaft zum Menschen belegt Günther Prechter und zitiert Ovids literarische Bearbeitung einer Szene in seinen Metamorphosen, in der Daphne sich mittels Verwandlung in einen Lorbeerbaum der Verfolgung durch den verliebten Gott Apoll entzieht
… mit geschmeidigem Bast umzieht sich der schwellende Busen. Grünend erwachsen zu Laub die Haare …
diese Szene eines griechischen Motivs findet sich in den germanischen und slawischen Mythen und den anonymen Volksmärchen, als auch den Kunstmärchen moderner Autoren wieder (Collodis Pinocchio, Tolkiens Herr der Ringe und Rowlings Harry Potter). Der Autor erkennt darin ein Urbild des westlichen Kulturkreises, das sich in der Blattmaske spiegelt.[5] Das Moment der Erneuerung und Transformation, die im Jahreszeitenwechsel der nördlichen Regionen erfahren wird, kann als Vorlage für die vielfältigen pflanzlichen Erscheinungsformen der Blattgesichter angenommen werden. Ein Synkretismus, der eine Einverleibung der lokalen Gottheiten erlaubt, scheint in und an christlichen Gebäuden als Übergangsphänomen eingesetzt worden zu sein.
Ein weiterer Deutungsversuch der Blattgesichter zieht die sogenannte Seth- oder Kreuzholzlegende heran, die nicht nur in der Vorstellung der Menschen im Mittelalter, sondern auch in der Ikonographie tiefe Spuren hinterlassen hat. Ein Engel überreicht Seth drei Samen vom Baum der Erkenntnis. Seth legt die Samen dem toten Adam in den Mund. Daraus entwickelt sich ein großer Baum, aus dessen Holz das Kreuz Christi gezimmert werden sollte. Als das Kreuz Christi auf dem Berg Golgota (Schädelhöhe) aufgerichtet wurde, kam der Schädel Adams zum Vorschein. Der Baum des Lebens wird zum Baum des Todes, der jedoch die Frucht des Erlösers trägt. In dieser Interpretation symbolisiert die Blattmaske den Begründer des Christentums der im Zentrum der Schöpfung steht.[7]
Auf den Idolcharakter einer Kleinplastik, zu der die Blattmaske gerechnet werden darf, weist Günter Baumann hin. Bis heute habe das Maskengesicht in der Nachfolge einer Venus von Willendorf nichts an Wirkungsmacht eingebüßt. Er beschreibt den intimen Kultus innerhalb menschlicher Gruppierungen als älteste Grundlage für kleine Plastiken. Der Kopf als philosophische Metapher und als Pars pro toto, stellvertretend für den Menschen, verbindet pagane und christliche Weltbilder. Als Beispiel wird ein Gedicht von Paul Celan herangezogen: Halbzerfressener, masken-/gesichtiger Kragstein, / tief / in der Augenschlitz-Krypta: / Hinein, hinauf / ins Schädelinnere, / wo du den Himmel umbrichst, wieder und wieder, / in Furche und Windung / pflanzt er sein Bild, / das sich entwächst, entwächst. Blattmaske als Verwandlung und Annäherung von Bildern.[8]
Galerie chronologisch
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Antike Blattmaske aus Hatra. Die Barthaare werden zu Blättern und Kopfhaare zu Schlangen, was auf Medusa (vgl. Gorgoneion) verweist
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Keltische Säule aus Pfalzfeld. Detail mit als Blattkrone interpretiertem Kopf, aus dem Mistelblätter hervorgehen. Die Mistel gilt als heilkräftige Pflanze zur Stärkung der Lebenskräfte
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Schatz von Mildenhall im Britischen Museum London, Blattmaske ca. 4. Jh.
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Istanbul Mosaikenmuseum, byzantinisch ca. 5. Jh.
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Istanbul Antikenmuseum, Kapitell mit kolossalen Blattmasken, um 460
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Blattmaske in der Randleiste des Egbert-Codexes, Buchmalerei um 990
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Saint-Benoît-sur-Loire, Blattmaske im Kapitell des Portals vom Glockenturm, 11. Jh.
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Notre-Dame in Cunault, Kapitell mit aggressiver Maske, 12. Jh.
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Mars-sur-Allier, Tympanon mit medusischer Maske
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St-Martin (Champeaux), Konsol-Blattmaske mit ausgestreckter Zunge, um 1180
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Um 1200 entstandene Deckenmalerei mit Jesus im Lebensbaum und Blattmasken aus dem Hildesheimer Benediktiner-Klosterkirche St. Michaelis
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Skizzenbuch des Villard de Honnecourt, ca. 1230
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Notre-Dame in Cuisery, Blattmaske am Chorgestühl
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Kloster Maulbronn, Gewölbekonsole, 12. Jh.
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Blattmaske im Gewölbeschlussstein dee Bartholomäuskirche, Markgröningen
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Pforzheim, St. Michael, Nordkapelle, Schlussstein mit Blattmaske und weiterem Blattmaskenkopf, um 1320
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Eine von 110 Blattmasken in der Rosslyn Chapel, Schottland
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Saint-Bertrand-de-Comminges, Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert. Geflügeltes Wesen gebiert Blattmaske
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Handglocke im Museo Diocesano in Trient. Spielerisch umgreifen Putti lange Bänder, die von einer Blütenmaske herabhängen, 1525–1550
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Pennal Gwynedd (Wales), Glasmalerei mit Auferstehungsszene, Blattmaske ohne Kinn, um 1872
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kathleen Basford: The Green Man. D. S. Brewer. Cambridge 1978 (Neuauflage 1998), ISBN 0-85991-497-6.
- Ludger Alscher, Günter Feist, Peter H. Feist (Hrsg.): Lexikon der Kunst, Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Band I. Das europäische Buch, Westberlin 1984, S. 304.
- Hans R. Hahnloser: Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches, Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1972, ISBN 3-201-00768-4.
- Harald Keller: Blattmaske. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II, 1941, Sp. 867–874. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 20. Januar 2024)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Suche nach Blattmasken. In: Deutsche Digitale Bibliothek
- Suche nach Blattmasken im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Achtung: Die Datenbasis hat sich geändert; bitte Ergebnis überprüfen und
SBB=1
setzen)
- Die grünen Männer sind unter uns. Sammlung von Blattmasken, auf the-great-learning.com (Orte und Kirchen in Deutschland/Europa; private Website von Han Marie Stiekema, nicht ideologiefrei)
- Sammlung Blattmasken in Großbritannien englisch
- greenman.maddy-aldis.co.uk Sammlung von Abbildungen in Europa
- Gotik. Blattmasken Diözesanmuseum Paderborn
- Was macht der Grüne Mann in der Kirche? auf der Visit-a-Church Seite
- omnia Abbildungen unter Stichwort: blattförmiger Kopf als Ornament
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Harald Olbrich (Hrsg.): Lexikon der Kunst, Studienausgabe Bd. 1 (A-Cim), Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2004, ISBN 3-86502-084-4 (S. 579)
- ↑ Mike Harding: The Green Man. umfangreiche Sammlung zu Blattmasken (engl.), 6. Januar 1998, abgerufen am 17. Oktober 2018.
- ↑ Review by: Peter Dinzelbacher in Mediaevistik Vol. 15, 2002. Peter Lang AG. The Green Man by Kathleen Basford (p. 253)
- ↑ Michael Jähne: Aspekte: Die Bauskulptur des Spätmittelalters im Saarland. Institut für aktuelle Kunst im Saarland, 30. Oktober 2017, abgerufen am 26. November 2017.
- ↑ Günther Prechter: Architektur als soziale Praxis. Baum- und Menschengestalt. (PDF) Böhlau, 2013, abgerufen am 14. April 2019.
- ↑ Ulrike Kalbaum: Romanische Türstürze und Tympana in Südwestdeutschland. Waxmann Verlag, Münster/Westfalen 2011, S. 248.
- ↑ Doubted Thomas speaks to pagans. Church Times, 2. November 2006, abgerufen am 11. August 2019.
- ↑ Kleinplastik der Gegenwart. (PDF) Galerie Schlichtenmaier, 2. September 2015, abgerufen am 11. Oktober 2019.