| Anglonormannisch | ||
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Gesprochen in |
England, in geringerem Grad auch andere Teile der britischen Inseln | |
| Linguistische Klassifikation |
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| Sprachcodes | ||
| ISO 639-1 | – | |
| ISO 639-2 | – | |
| ISO 639-3 | xno | |
Die anglonormannische Sprache (franceis, fraunceis oder romanz) ist eine romanische Sprache, die die normannische Oberschicht nach der Eroberung Englands im Jahre 1066 aus Frankreich mitbrachte. Sie unterschied sich von Anfang an von der Sprache der Île-de-France. Nach der Trennung zwischen den britischen Inseln und der Normandie im frühen 13. Jahrhundert entfernte sich das Anglonormannische weiter vom festländischen Französisch, was z. B. in Geoffrey Chaucers Beschreibung der Prioresse im Prolog der Canterbury Tales zum Ausdruck kommt:
- And Frensh she spak ful faire and fetisly
- After the scole of Stratford atte Bowe
- For Frensh of Paris was to hire unknowe. (124–126)
- „Und Französisch sprach sie sehr gut und elegant
- Nach der Art von Stratford at Bow,
- Denn das Französisch von Paris war ihr unbekannt.“
Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts blieb Anglonormannisch (neben Latein) Sprache des englischen Hofs, der Verwaltung und Justiz. In der Literatur wurde es seit Mitte des 13. Jahrhunderts vom Mittelenglischen abgelöst. Eine der populärsten anglonormannischen Schriftstellerinnen war Marie de France.
Das Anglonormannische hatte erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der englischen Sprache: Das Mittelenglische wies im Gegensatz zum Altenglischen einen erweiterten Wortschatz auf, der zu über 50 % aus Wörtern romanischer Herkunft bestand. Zum Teil bestehen Wörter germanischer (angelsächsischer) und romanischer (anglo-normannischer) Herkunft bis heute nebeneinander, so etwa freedom und liberty für „Freiheit“. Ein bekanntes Beispiel ist die sprachliche Unterscheidung zwischem lebendem Tier auf dem Bauernhof und gebratenem Tier auf Tisch: Während cow/ox, sheep, pig/swine und calf aus dem Altenglischen stammen, gehen die Parallelen beef, mutton, pork und veal auf das Anglonormannische zurück. In Entlehnung anglonormannischer Wörter gründen auch Homonyme wie arm, das „Arm“ wie im Deutschen oder „Waffe“ (französisch arme) bedeutet. Überdies stehen Begriffe lateinischer und anglo-normannischer Herkunft nebeneinander, wobei die anglo-normannischen in der Regel die älteren Formen darstellen, z. B. estreat (Gerichtsaktenauszug) und extract (Auszug allgemein) oder clerk (Schreiber, Sekretär) und cleric (Geistlicher, Kleriker). Die lateinische Form gelangte in diesen Fällen deswegen in die Sprache, weil das anglo-normannische Wort mittlerweile eine Bedeutungsverschiebung erfahren hatte: Schreiber und Geistlicher waren in der Verwaltungspraxis des Hochmittelalters gleichbedeutend, aber mit der Zunahme der Alphabetisierung im 15. Jahrhundert war der Schreiber unter Umständen eben kein Kleriker mehr, so dass für den echten Kleriker ein neues Wort benötigt wurde.
Anglonormannischer Einfluss zeigt sich auch in der Schreibweise: Die Schreibung house beispielsweise ist eine französisierende Schreibung für die mittelenglische Aussprache /huːs/ – ‹ou› gab ursprünglich nach französischem Vorbild das mittelenglische lange /uː/ wieder, und das auslautende „stumme“ ‹e› findet ebenfalls zahlreiche Parallelen im Französischen. Eine weitere Angleichung an die französische Orthographie ist etwa die Schreibung von island mit einem „stummen“ ‹s›: Dieses germanische Wort, das mit deutsch Eiland und niederländisch IJland verwandt ist (im Bestimmungswort steckt eine Varianten von Aue), wurde um das ‹s› in französisch isle (von lateinisch insula) ergänzt, obwohl die beiden Wörter nicht miteinander verwandt sind.
Literatur
- Hermann Albert: Mittelalterlicher englisch-französischer Jargon (= Studien zur englischen Philologie. Bd. 63). Sändig Reprint, Walluf 1973, ISBN 3-500-28520-1 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1922).
- Ernst Burghardt: Über den Einfluss des Englischen auf das Anglonormannische (= Studien zur englischen Philologie. Bd. 24). Sändig Reprint, Walluf 1973, ISBN 3-500-27750-0 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1906).
- Richard Ingham: The Anglo-Norman language and its contexts. York Medieval Press, Woodbridge 2010, ISBN 978-1-903153-30-7.
- Serge Lusignan: La langue des rois au moyen âge. Le français en France et en Angleterre. PUF, Paris 2004, ISBN 2-13-054392-8.
