Allfinanz bezeichnet im Finanzwesen sowohl die Kooperation von rechtlich unabhängigen Unternehmen des Finanzwesens wie Finanzdienstleister, Kreditinstitute (Banken, Genossenschaftsbanken, Sparkassen, Bausparkassen), Versicherern und Investmentgesellschaften als auch das Ergebnis dieses Prozesses.
Grundzüge
Als Allfinanz wird ein Geschäftsmodell bezeichnet, das innerhalb der Produktpolitik die horizontale Integration verschiedener Teilmärkte des Finanzmarkts vorsieht, wobei insbesondere das Angebot von Versicherungsarten durch Kreditinstitute und von Finanzprodukten der Kreditinstitute durch Versicherer von Bedeutung ist.[1][2] Es handelt sich um ein branchenübegreifendes umfassendes Angebot für Privatpersonen durch ein Finanzdienstleistungsinstitut, das ein Kreditinstitut, eine Bausparkasse oder ein Versicherungsunternehmen sein kann.[3]
Geschichte
Die Genossenschaftsbanken gründeten 1922 die R+V Versicherung, über die sie Prämiensparverträge in Kombination mit Risikolebensversicherungen vertreiben.[4] Seit 1936 kooperieren sie mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Die Sparkassen bieten seit 1952 das Finanzprodukt „Sparen mit Versicherungsschutz“ an.[5] Im Rahmen der Allfinanz gibt es bei Sparkassen heute unter der Bezeichnung „Sparkassen-Versicherungssparen“ einen Prämiensparvertrag in Kombination mit einer Risikolebensversicherung über öffentliche Versicherer im Rahmen der Sparkassen-Finanzgruppe.[6] Dabei müssen die Sparer als Versicherungsnehmer fungieren. Im Jahre 1983 folgte die Deutsche Bank mit ihrem „Sparplan mit Versicherungsschutz“, 1987 gründete sie eine eigene Bausparkasse.[7]
Ursprünglich waren in den USA Konzernverbünde zwischen Versicherern und Banken seit Juni 1933 verboten (Trennbankensystem des Glass-Steagall Act). Dies endete erst im November 1999[8], was die Gründung der Citigroup ermöglichte. In Großbritannien war das Modell der Universalbank, die Kredite gewähren und Kundengelder annehmen darf, lange unbekannt, so dass dort sogar das Bankwesen zersplittert war. Allfinanz erfolgte daher nur über Anlagevermittlung.
Da für deutsche Kreditinstitute (Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen), Versicherungsunternehmen (Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen) und den Wertpapierhandel (Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel) getrennte Aufsichtsbehörden zuständig waren, durften Kreditinstitute keine Versicherungsverträge abschließen und Versicherungsunternehmen keine Bankgeschäfte betreiben.[9] Im Mai 2002 wurden die bisher getrennten Aufsichtsbehörden für Versicherer, Kreditinstitute und Börsengeschäfte auf eine gemeinsame Institution, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, übertragen. Unter dem Sammelbegriff Finanzdienstleistungen werden seitdem alle im Finanzsektor anfallenden Geschäfte einschließlich Factoring und Leasing subsumiert und einer einheitlichen Aufsichtsbehörde unterstellt. Trotzdem müssen weiterhin die betreffenden Geschäfte von rechtlich selbständigen Unternehmen betrieben werden (Kreditinstitute, Bausparkassen, Versicherer und Investmentgesellschaften). Für die entsprechenden Geschäfte gelten unverändert getrennte Aufsichtsgesetze. Allerdings wurde inzwischen auch die Kontrolle über die Eigentümer in die Aufsichtsgesetze übernommen, um den Verflechtungen zwischen verschiedenen Unternehmen in Konzernen gerecht zu werden: Das Finanzkonglomerate-Aufsichtsgesetz regelt seit Juli 2013 die Finanzmarktaufsicht über Finanzkonglomerate wie etwa die Allianz-SE-Gruppe.
Organisatorische Möglichkeiten
Allfinanz verschiedener bisher selbständiger Unternehmen kann ermöglicht werden durch:[10]
- Kooperationsvereinbarungen oder Vertriebsvereinbarungen: beispielsweise Citibank und „Citi Investment Management Alternatives“;
- Kapitalbeteiligungen wie HypoVereinsbank/Ergo Group, Commerzbank/Generali Deutschland;
- Joint Ventures wie La Caixa/Fortis;
- Unternehmenskäufe oder Fusionen wie früher Allianz SE und Dresdner Bank.
- Gründung von Tochtergesellschaften.
Um das Produktrisiko für Verbraucher gering zu halten, müssen weiterhin Bankgeschäfte von Kreditinstituten und Versicherungsverträge von Versicherern angeboten werden.
Wirtschaftliche Aspekte
Ziel der Allfinanz ist es, über Cross-Selling die Kundenbindung, den Kundennutzen und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen sowie Synergieeffekte im Vertrieb zu heben.[11]
Wegen der weiterhin erforderlichen Trennung der Finanzprodukte kann daher zwischen Allfinanzanbieter, Allfinanzvermittler und Allfinanzberater unterschieden werden.[12] Allfinanzanbieter bieten abgestimmte Produktangebote für den gesamten Bedarf an Finanzdienstleistungen aus einer Hand an. Die Kooperation kann im Rahmen eines Konzernverbundes oder auf vertraglicher Basis zwischen den rechtlich selbständigen Finanzdienstleistern erfolgen. Allfinanzvermittler sind unabhängige Anbieter mit dem Ziel, Finanzdienstleistungen zu vermitteln. Allfinanzberater beraten und vermitteln; im Fall von Versicherungsberatern ist rechtlich klargestellt, dass diese ausschließlich beratend im Auftrag des Kunden tätig werden, ohne selbst zu vermitteln. Zur Allfinanz gehört in jedem Fall ein breites Angebot an Finanzdienstleistungen.
Auf Kundenseite soll eine ganzheitliche Lösung für den Bedarf an Finanzdienstleistungen erreicht werden. Sowohl soll der gesamte Bedarf lückenlos abgedeckt als auch Überschneidungen der weiterhin von rechtlich selbständigen Unternehmen angebotenen Teile vermieden werden, da solche zu unnötigen Kosten führen.
Auf Anbieter- bzw. Vermittlerseite soll die eigene Fachkompetenz im Bereich der Finanzdienstleistungen möglichst umfassend ausgenutzt werden, um damit aus der Geschäftsverbindung maximalen Nutzen ziehen zu können. Zudem gilt eine umfassend verbundene Kundenbeziehung als stabiler. Kunden, die noch mit anderen Allfinanzverbünden Beziehungen unterhalten, stehen nach wie vor dem Risiko der Abwerbung. Insbesondere bewirken langfristige Verträge wie Kredite, insbesondere Baudarlehen zum Beispiel durch Bausparkassen, Lebens- und Krankenversicherungen eine dauerhafte Kundenverbindung (Dauerschuldverhältnis).
Allerdings werden in der Praxis aus Kostengründen oft diese idealen Verhältnisse nicht erreicht. Eine ganzheitliche Lösung würde eine intensive Untersuchung der Bedarfssituation der Kunden, die meist nicht in der Lage sind, ihren Bedarf selbst zu bestimmen, erfordern. Verbraucherschützer beklagen oft, dass diese Untersuchung aus Kostengründen, aber vor allem auch aufgrund mangelnder Kenntnisse der Vermittler, unterbleibt. Letztlich würde das Ergebnis nicht vom Bedarf, sondern vom Provisionsinteresse des Vermittlers oder Gewinninteresse des Anbieters bestimmt. Damit würden Lücken verbleiben und unnötige Verträge abgeschlossen. Bevorzugt würden gerade langfristige Verträge abgeschlossen, um die Kundenverbindung zu sichern. Eine genaue Abstimmung der Produkte zwischen den rechtlich selbständigen Anbietern ist oft nicht einfach und ist daher manchmal unvollständig, so dass es zu Überschneidungen kommt, die dem Kunden unnötige Kosten aufbürden.
Siehe auch
Literatur
- Literatur über Allfinanz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Gilbert Gornig, Frank Reinhardt: Der unabhängige Allfinanz-Vertrieb – Unter Berücksichtigung hierarchischer Vertriebssysteme. Peter Lang-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-631-39555-8.
- Andre Eschler: Bancassurance – Methoden der Effizienzsteigerung und ausgewählte Optimierungsmodelle. GRIN-Verlag, 2011, ISBN 978-3-640-84359-6.
Einzelnachweise
- ↑ Jürgen Krumnow/Ludwig Gramlich/Thomas A. Lange/Thomas M. Dewner, Gabler Bank-Lexikon: Bank - Börse – Finanzierung, 13. Auflage, Gabler Verlag, 2002, S. 37; Stichwort: Allfinanz
- ↑ Peter Koch, Gabler Versicherungs-Lexikon, Gabler Verlag, 1994, S. 26 ff.; Stichwort: All-Finanz-Angebot
- ↑ Wolfgang Greise, Allfinanz, in: Claudia Wiepcke/Hermann May (Hrsg.), Lexikon der ökonomischen Bildung, 8. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2012, S. 8
- ↑ Harald Herrmann/Klaus P. Berger/Ulrich Wackerbarth (Hrsg.), Deutsches und Internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel, Walter de Gruyter, 1997, S. 66
- ↑ Gerhard Müller/Josef Löffelholz: Bank-Lexikon: Handwörterbuch für das Bank- und Sparkassenwesen, Gabler Verlag, 1961, Sp. 1271
- ↑ Eggert Winter/Ute Arentzen: Gabler Wirtschafts-Lexikon, Band 6, Gabler Verlag, 1997, S. 1343; ISBN 3-409-30383-9
- ↑ Wolfgang Greise, Allfinanz, in: Claudia Wiepcke/Hermann May (Hrsg.), Lexikon der ökonomischen Bildung, 8. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2012, S. 9
- ↑ Michael Ghanem, Im Würgegriff des Finanzsektors, Teil 1: Die Banken, Tredition Verlag, 2019, S. 16
- ↑ Anja Büschgen, Allfinanz als Marktbearbeitungskonzept privater Geschäftsbanken, Gabler Verlag, 1992, S. 18 ff.
- ↑ Jürgen Krumnow/Ludwig Gramlich/Thomas A. Lange/Thomas M. Dewner, Gabler Bank-Lexikon: Bank - Börse – Finanzierung, 13. Auflage, Gabler Verlag, 2002, S. 37
- ↑ Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaft, Springer/Gabler, 6. Auflage, 2014, S. 16; Stichwort: Allfinanz
- ↑ Anja Büschgen, Allfinanz als Marktbearbeitungskonzept privater Geschäftsbanken, Gabler Verlag, 1992, S. 75 ff.